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Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Titel: Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Fuchs , John Goetz
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Ihre noch unbedeutende Gruppe nennen sie hochtrabend NWJ – «Nationaler Widerstand Jena».
    Sie bringen Aufkleber an Laternenpfählen an, organisieren Demos und sind vor allem überall dort, wo sie junge Männer treffen: in Jugendclubs, in Diskotheken und bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
    Wohlleben und K. gehen auch in den «Winzerclub». Hier verbringt Uwe Böhnhardt jetzt seine Nachmittags- und Abendstunden. Bald plappert er den älteren Jungs Floskeln wie «Die Ausländer nehmen unsere Arbeit weg», «Die Juden haben an allem Schuld» oder «Ausländer raus!» nach. Seine Mutter sagt dann, dass er doch gar keine Ausländer kenne und keinen Juden. «Woran erkennst du überhaupt Juden?» Uwe antwortet nicht, dreht sich um und verschwindet stumm in seinem Zimmer. Brigitte Böhnhardt ist verzweifelt: «Ich weiß nicht, wo diese Ratten überall herkamen, aus allen Löchern, die auf einmal diese Jugendlichen abgegriffen haben, ihnen was eingetrichtert haben.»

    Beim bundesweiten Treffen der Deutschen Burschenschaft, dem sogenannten «Burschentag», Anfang 1993 in Jena kommt der CDU-Politiker und ehemalige Berliner Innensenator Heinrich Lummer zu Besuch. Lummer spricht sich gegen «eine Utopie einer multikulturellen Gesellschaft» aus, da diese eigentlich eine «latente Konfliktgesellschaft» sei. «Mich kotzt das an», sagt Lummer in Bezug auf Solidaritätsdemonstrationen für Ausländer. Deutschen werde «völlig zu Unrecht Ausländerfeindlichkeit unterstellt», so Lummer.

    Die Gewalt von Neonazis richtet sich nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen die, die darüber berichten. Laut Neuer Presse sagt der Vorsitzende der Republikaner, Franz Schönhuber, am 24. März 1993 bei einer Veranstaltung in der Kronacher Schützenhalle: Ihm sei es «Wurst», was die Journalisten schrieben. Alle diese «Kaschpern» würden eines Tages vor ihm Schlange stehen. «Wir werden von jedem Tag an ungeheuerlicher.» Die Journalisten würden schon noch umdenken, wenn sie «eins in die Schnauze bekommen». Der NPD-Politiker und Neonazi Jürgen Rieger droht vor laufender Kamera des Magazins Panorama : «Warten Sie es doch ab: Wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist, dann wissen Sie, es geht los. Reporter, Richter, Polizisten. Sie!»
    Mit Bezug auf Schönhubers Rede stellt die PDS-Fraktion im Bundestag eine Anfrage über Drohungen von Rechtsextremisten gegen Journalisten. Am 3. Mai 1993 veröffentlicht die Bundesregierung, dass 34 solcher Fälle bekannt seien. In drei Fällen seien «Tätlichkeiten gegen Journalisten» ausgeübt, in 17 Fällen Redaktionen beschädigt oder beschmiert worden. Ein Journalist in Nürnberg erhalte Personenschutz.

    Drei Tage nach Inkrafttreten der im Bundestag beschlossenen Änderung des Asylrechts verüben Neonazis einen Brandanschlag auf ein Haus in Solingen. Fünf Mitglieder einer türkischen Familie werden bei dem Brandanschlag in Solingen getötet, drei Kinder und zwei Frauen. Drei der Opfer verbrennen in ihrem Wohnhaus, eine Frau und ein Mädchen kommen bei dem Versuch ums Leben, sich mit einem Sprung aus dem Fenster vor den Flammen zu retten. Weitere 14 Familienangehörige erleiden Verletzungen, zum Teil lebensgefährliche. In der Welt heißt es kurz nach dem Mordanschlag aus der Umgebung von Bundeskanzler Helmut Kohl: «Wir werden jetzt wochenlang Aufklärungsarbeit leisten müssen, um dem Anschein neonazistischer Gefahr in Deutschland entgegenzutreten.»

    Uwe Böhnhardts Eltern verbieten ihm, Reichskriegsflaggen in sein Zimmer zu hängen oder Rechtsrock-CDs zu hören. Nicht mal seine Bomberjacke darf er in der elterlichen Wohnung tragen. Darum zieht er sich Springerstiefel und die Jacke meist erst im Treppenhaus an, bevor er in den «Winzerclub» geht.
    «Wir haben ihm oft klipp und klar gesagt, das ist unsere Wohnung, wir bezahlen sie, du wohnst hier, wir sorgen für dich, aber es gibt gewisse Grenzen», sagt Brigitte Böhnhardt, seine Mutter. Als sie ihn einmal dabei erwischt, wie er eine CD mit Nazimusik in seinem Zimmer hört, sagt sie zu ihm: «Du hast eine Grenze überschritten, und das wollen wir bitte nicht.» Daraufhin verkauft Uwe Böhnhardt die CD wieder.
    «Wir hatten den Eindruck, dass er sich zu einer zwiegespaltenen Persönlichkeit entwickelt hatte. So lang, wie er hier zu Hause war, war er der liebe Sohn, hat sich um alles gekümmert und hat alles gemacht. Aber wenn seine rechten Freunde unten geklingelt hatten, verwandelte er sich und war nicht

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