Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Einmal tritt er in einer öffentlichen Veranstaltung mit Pickelhaube als General Erich Ludendorff auf, ein anderes Mal spielt er den Reichsaußenminister der Weimarer Republik, Walther Rathenau. Zu einer rechten Demonstration fährt er auch mal mit dem Fahrrad vor, um die Neonazis selbst zu fotografieren. Roewer gilt als instabile Persönlichkeit.
Unter der Führung von Helmut Roewer treffen sich Agenten des Geheimdienstes 93-mal mit dem Neonazi Thomas D. D. ist den Behörden schon lange bekannt, 1992 hat er am Abend vor Hitlers Geburtstag einen Schweinekopf in den Vorgarten der Synagoge von Erfurt geworfen. Er ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Betrugs und Volksverhetzung. Das alles hindert den Geheimdienst nicht daran, ihn als V-Mann zu führen, sein Tarnname lautet «Küche». Für seine Spitzeltätigkeit bekommt Thomas D. 21980 DM und obendrein auch noch 6800 DM für Spesen. Obwohl der zuständige Referatsleiter D. irgendwann als «Spinner und Wichtigtuer» einschätzt, müssen seine Agenten sich danach noch weitere neunmal mit dem V-Mann treffen – auf Anweisung von Roewer.
Manche V-Leute führt der Chef des Verfassungsschutzes auch persönlich, dafür hat er einen hohen Betrag in bar in seinem Büropanzerschrank liegen. Das Geld organisiert sich Helmut Roewer über eine Tarnfirma, die Gutachten und Filme für das LfV erstellt und dafür hohe Honorare erhält. Geld fließt zurück und landet teilweise im Reptilien-Tresor des Chefs.
Als im Jahr 2001 bekannt wird, dass das Verfassungsschutzamt unter Roewers Leitung den rechtsextremistischen Spitzel Tino Brandt mit Hunderttausenden Mark Steuergeld bezahlt hat, wird der Behördenleiter entlassen. 2005 wird Roewer wegen Untreue in seiner Amtszeit angeklagt. Fünf Jahre später wird das Verfahren endgültig eingestellt – gegen eine Zahlung von 3000 Euro an einen gemeinnützigen Verein.
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Der Zettel
Eines Tages finden die Eltern von Uwe Böhnhardt einen Zettel in ihrem Briefkasten. Auf ihm stehen eine Zeitangabe und die Adresse einer Telefonzelle in Lobeda West, in der Nähe des Arbeitsamtes. Zum angegebenen Termin sollen sie sich vor die Zelle stellen und warten. Es werde dort klingeln. «Ich wusste nicht, dass man eine Telefonzelle anrufen kann. Ich war da ein bisschen naiv», erinnert sich die Mutter von Uwe Böhnhardt.
Die Eltern machen alles genau wie befohlen. Bibbernd stehen sie vor der Telefonzelle und warten. Und wirklich: Das Telefon klingelt. «Stellt euch, wir unterstützen euch, das hältst du durch.» Das sind die ersten Worte, die der Vater Jürgen Böhnhardt in die Sprechmuschel des öffentlichen Telefons spricht, als er Wochen nach der Flucht endlich wieder die Stimme seines Sohnes hört. Die Eltern versuchen alles, um ihn zum Aufgeben zu bewegen. Ihr Uwe beginnt zu weinen. Am Ende verabreden sich die Böhnhardts zu einem neuen Termin für das nächste Telefongespräch. «Für uns war das eine große Erleichterung, dass er wenigstens noch lebt», sagt Jürgen Böhnhardt. Mehrmals werden die Eltern auf diese Weise kurz Kontakt mit ihrem Sohn haben.
Ende Oktober 1998 bekommt der Strafverteidiger von Uwe Böhnhardt Besuch vom Thüringer Verfassungsschutz. «Ich saß in meinem Büro in der Humboldtstraße in Gera, und vor dem Fenster sah ich jemanden, der hin und her lief», sagt Rechtsanwalt Gerd Thaut. Thaut ist kein Szeneanwalt, aber er hat in der Vergangenheit bereits Rechtsradikale verteidigt, so auch Böhnhardt in seinem letzten Verfahren 1997.
«Er trug einen hellen Trenchcoat – es fehlte nur der Schlapphut. Er sagte mir, er käme im Auftrag seines Chefs Helmut Roewer», erinnert sich Thaut. Der Agent kommt mit der Bitte, ein Angebot an Uwe Böhnhardt zu übermitteln: «Böhnhardt könnte eine Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft treffen, dass er mit einer milderen Strafe rechnen kann, wenn er den Straftaten und der Gewalt abschwören würde.»
Der Geheimdienst will dem Flüchtigen einen Deal anbieten: Wenn er und seine Komplizen sich stellen, könnte das Gericht das Strafmaß reduzieren. Der Staatsanwalt könnte den Punkt «Bildung einer terroristischen Vereinigung» aus der Anklageschrift herausnehmen und damit die mögliche Höchststrafe auf fünf Jahre reduzieren.
Rechtsanwalt Thaut fährt zu Familie Böhnhardt nach Jena. Zu dieser Zeit telefoniert die Familie noch in Abständen mit ihrem Sohn. Das bestätigt Brigitte Böhnhardt heute auf Nachfrage. Rechtsanwalt Gerd Thaut erzählt Uwe Böhnhardts Eltern in
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