Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
vielbeschäftigten Geschäftsmann.
Sein Blumenhandel läuft sehr erfolgreich. Seine Frau und er träumen von einem Lebensabend im eigenen Haus in der Türkei.
In den Morgenstunden verlässt Geschäftsführer Şimşek Schlüchtern und fährt mit seinem weißen Mercedes Sprinter nach Mittelfranken. Er hat Tulpen aus Holland geladen, Chrysanthemen und Dahlien, die er in Venlo ersteigert hat. Zuerst beliefert er einen mobilen Blumenstand im fränkischen Allersberg, danach fährt er nach Langwasser. Hier, auf einem Parkplatz an einer vielbefahrenen Ausfallstraße im Süden Nürnbergs, muss er heute selbst die Blumen verkaufen, weil sein Kollege in der Türkei Urlaub macht.
Es ist 8:30 Uhr, als er einen Sonnenschirm aufspannt, Bänke und einen Klapptisch neben den Lieferwagen stellt. Auf die Sitzflächen und den Tisch hievt er schwarze Wassereimer, in die er Blumensträuße drapiert. Im Auto legt er sich lose Blumen zurecht, die er binden will, wenn er gerade mal keine Kundschaft hat. Seine Sträuße sind besonders, richtige Kunstwerke, die er mit duftenden Ölen besprüht.
Es ist ein ruhiger Samstag, manchmal hält eine Stunde lang kein einziger Kunde. Ganz in der Nähe kann Enver Şimşek die Spieler von umliegenden Tennisplätzen hören, ansonsten ist um seinen Verkaufsplatz herum nur Wald. Er bindet Sträuße, telefoniert mit dem Handy, wartet auf den Feierabend.
Gegen 14 Uhr kommen zwei Männer auf den Parkplatz, Enver Şimşek steht gerade auf der Ladefläche und schneidet Blumen. Die beiden Männer treten an die offene Schiebetür. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tragen kurze Radlerhosen und Baseballcaps, und beide haben eine Plastiktüte in der Hand. Was sie darin befördern, sieht Enver Şimşek nicht, darum ist er überrascht, als sie die Hand mit der Tüte hochreißen und auf ihn richten. Ohne Vorwarnung zielen beide Männer gleichzeitig auf das Gesicht von Enver Şimşek. Auch als er zu Boden geht, feuern sie weiter auf ihn. Sie schießen ihm in den Kopf, durchlöchern Schultern, Nacken, Brust. Acht Schüsse durchsieben Enver Şimşek förmlich.
Mundlos und Böhnhardt fotografieren Enver Şimşek in seiner Blutlache, schieben die seitliche Tür des Lieferwagens zu und packen ihre Waffen ein. Dann sind sie weg.
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«Keine Worte, sondern Taten»
Drei Wochen nach dem Mord an Enver Şimşek bauen Agenten des Verfassungsschutzes in einer konspirativen Wohnung in Chemnitz eine Kamera auf. Sie sollen das Haus gegenüber in der Bernhardstraße filmen, in dem Uwe Böhnhardt erwartet wird. Er will hier seinen 23. Geburtstag feiern. Die Verfassungsschützer drücken den «Record»-Knopf der Videokamera und verlassen die Wohnung. Eine menschliche Dauerobservation für die nächsten Tage ist zu teuer. Eher zufällig zeichnet die aufgebaute Kamera an diesem Tag drei Sekunden lang «eine männliche und eine weibliche Person» auf, die das Klingelschild am beobachteten Haus studieren. Es sind Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Zum Ende des Jahres 2000 hin scheint das Geld wieder knapp zu werden. Ein Jahr nach ihrem letzten Bankraub überfallen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 30. November ihre dritte Post. Sie kennen die Filiale gut – sie liegt nur 500 Meter von ihrer ehemaligen Wohnung im Fritz-Heckert-Neubaugebiet in Chemnitz entfernt. Vor fünf Monaten bereits sind sie aus Chemnitz in eine kleine Plattenbauwohnung nach Zwickau gezogen. Einem Unterstützer erklären sie, Chemnitz verlassen zu müssen, weil zu viele Leute wüssten, dass sie dort wohnen. Jetzt also Zwickau.
Und deshalb können sie diesmal nicht mit einem Moped flüchten. Sie müssen ihre Strategie ändern. Mit Fahrrädern wollen sie nun vom Tatort abhauen, damit kann man sich schneller wieder unter die Menschen mischen. Und im Gegensatz zu einem Motorrad haben Mountainbikes kein Nummernschild, nach dem die Polizei fahnden kann. Ihre taktischen Vorbereitungen ergänzen die Männer an diesem Donnerstag schließlich um die Beschaffung eines Wohnmobils, in dem sie sich und die Räder verstecken können. Gegen 9 Uhr wird es von ihrem Helfer André E. gemietet, um 11:11 Uhr überfallen Böhnhardt und Mundlos die Postfiliale in der Johannes-Dick-Straße. Sie tragen Wollstrickmützen, DDR-Taschentücher vor ihren Gesichtern und führen einen Rucksack mit sich, in den die Kassenmitarbeiter das Geld packen sollen. Mit Pistolen bedrohen sie die Angestellten.
Danach flüchten sie auf ihren Trekkingrädern – bis zu einem Parkplatz, auf dem sie das
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