Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
etwas hohen Stirn lebt hier seit der Scheidung von seiner Frau allein. Sie haben eine gemeinsame Tochter. Seit der Scheidung arbeitet Abdurrahim Özüdoğru noch fleißiger. Seit einigen Monaten verbessert sich das angespannte Verhältnis der Eltern. Herr und Frau Özüdoğru nähern sich einander langsam wieder an.
Wie jeden Tag um diese Zeit verlässt Abdurrahim Özüdoğru kurz nach 16 Uhr seinen Laden, um sich zwei Häuser weiter in dem kleinen Lotto/Toto- und Zeitschriftenladen die türkische Tageszeitung Hürriyet zu kaufen. Ein paar Minuten später sitzt er wieder hinter seiner Nähmaschine.
Nach 16:30 Uhr betreten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seinen Laden. Özüdoğru steht vor der geschlossenen Verbindungstür zu seiner Wohnung, als ihm einer der beiden Männer aus weniger als zwei Meter Entfernung ins Gesicht schießt. Die erste Kugel zerschmettert seinen Oberkiefer, Abdurrahim Özüdoğru sinkt zu Boden. Der Täter schießt noch ein zweites Mal auf ihn, direkt in seine rechte Schläfe. Die Patrone bleibt in der hinteren Schädelgrube stecken. Eine Nachbarin, die im Haus gegenüber gerade die Fenster putzt, hört die beiden Schüsse. Die beiden Männer fotografieren den tödlich Verletzten und verlassen das Geschäft durch die Ladentür. Vermutlich auf Fahrrädern verschwinden sie aus der Nürnberger Südstadt.
Durch ballistische Untersuchungen finden die Polizisten der Mordkommission heraus, dass die Killer dieselbe Waffe benutzt haben wie bei dem Mord an Enver Şimşek im September 2000. Eine Pistole Česká 83, Kaliber 7,65 Millimeter.
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«Sieg oder Tod»
Noch am selben Tag tauchen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wieder in ihr Leben in Zwickau ein. Die Erdgeschosswohnung in der Polenzstraße liegt in einem Viertel, das schon bessere Zeiten erlebt hat. Viele Häuser sind noch unsaniert, kulinarisch überwiegen Imbissstuben und Dönerläden, die laute und dreckige Hauptverkehrsader Marienthaler Straße durchschneidet das Quartier. Der Bahnhof ist zu Fuß zu erreichen, um die Ecke der Wohnung liegt ein großer Aldi.
Für das Trio ist das Versteck in der ruhigen Nebenstraße geradezu ideal. Nicht weit entfernt gibt es eine Tierarztpraxis, die Beate Zschäpe oft aufsuchen wird, wenn eine ihrer beiden Hauskatzen – die schwarz-weiß gefleckte Lilly oder die grau-getigerte Heidi – einen Darmeinlauf bekommt, wegen Milbenbefall untersucht werden muss oder gegen Katzenschnupfen geimpft wird. Der Tierdoktor wird in all den Jahren ihre Katzen besser kennenlernen als Beate Zschäpe selbst, die sich unter dem Aliasnamen Lisa Pohl vorstellt. Zschäpe zahlt die Rechnungen immer bar, sagt der Veterinär später in einer Zeugenvernehmung bei der Polizei Zwickau aus.
Auch eine Videothek liegt nicht weit von der Wohnung entfernt. Hier wird Beate Zschäpe ebenfalls als Lisa Pohl Mitglied und verkauft einmal das gebrauchte Videospiel «Alfred Hitchcock – The Final Cut». Auch Uwe Mundlos will der Besitzer ab und an mal im Laden gesehen haben: «Ich glaube, er nannte sich Andreas.»
Häufig tauchen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den Jahren aber nicht auf. Auch nicht im Haus. «Die Männer hat man nicht oft gesehen, und wenn, waren sie eher wortkarg», sagt die Nachbarin Peggy Prohlis. Die meisten Hausbewohner erinnern sich eher an Begegnungen mit Beate Zschäpe als mit den Männern des Trios. Wenn man die beiden mal hört, spielen sie Computerspiele in der Wohnung oder verbringen ihre Zeit im Keller.
Besonders gern zocken sie in dieser Zeit auf der Playstation oder spielen das Echtzeit-Strategiespiel «Command & Conquer» auf dem Computer. Als es den Nachbarn wegen der Ballerspiele zu laut wird und sie sich durch das dauernde Gepolter aus den PC-Boxen genervt fühlen, kaufen Mundlos und Böhnhardt für 2000 Euro Dämmwolle, damit Ruhe ist.
Doch die beiden Männer benutzen ihre Computer nicht nur zum Zeitvertreib. Viele Stunden sitzen sie davor, um einen Film zu schneiden. Im März 2001 beginnen sie, ihre Taten auf einer Art Bekennervideo zu verewigen.
In der ersten Version, die nicht viel gemein hat mit der später bekannt gewordenen «Paulchen Panther»-DVD, bekennt sich die Bande zu ihren Taten und verwendet zum ersten Mal das Kürzel «NSU». Das Video mit dem Dateinamen nsu.avi beginnt mit der Einblendung eines NSU-Logos, dann erscheint eine Tafel mit programmatischem Text:
WIR: DER NSU WERDEN NICHT DURCH
VIELE WORTE AUF UNS AUFMERKSAM
MACHEN – SONDERN DURCH TATEN
NSU
SOLANGE ES KEINE
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