Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Hinterkopf und tritt auf der Stirnseite wieder aus. Habil Kılıç bleibt auf dem Rücken in einer Blutlache liegen. Danach verlassen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den Frischemarkt unerkannt. Da der Killer wahrscheinlich eine Plastiktüte über seine Pistole gezogen hat, bleiben nicht einmal Patronenhülsen im Laden zurück.
Zwei Zeuginnen sagen später in Vernehmungen aus, zur Tatzeit zwei auffällig schnell vorbeirasende Mountainbikefahrer beobachtet zu haben, die aus der Richtung des Ladens kamen. Sie beschreiben die Fahrer als 20- bis 30-jährige Männer mit dunklen Haaren und einem Rucksack.
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Plätzchen
Im Frühjahr 2002 finden die Eltern von Uwe Böhnhardt wieder einen Zettel in ihrem Blechbriefkasten. Sie stehen zum angekündigten Termin vor der Telefonzelle, es klingelt. Ihr Sohn bittet sie, zum nächsten Treffen aktuelle Fotos seiner Nichte und seines Kinderzimmers mitzubringen; Beate Zschäpe wünscht sich Plätzchen- und Kuchenrezepte von Brigitte Böhnhardt.
«Ein bisschen gewundert hat es mich schon, es war ja erst Frühjahr, und da habe ich gedacht, na ja, da hat sie ja noch Zeit bis Weihnachten zum Üben», erinnert sich Mutter Böhnhardt. Zum Treffen bringt sie ein Backbuch mit und Zettel mit Plätzchenrezepten, die sie aus anderen Büchern abgeschrieben hat. Plätzchen von Mutti. Als Uwe Mundlos die Backrezepte sieht, ruft er: «Och, das ist mein Lieblingskuchen, den hab ich immer so gern gegessen.»
Während die beiden Frauen die Rezepte studieren, versucht Brigitte Böhnhardt, etwas über das Zusammenleben des Trios herauszufinden.
Brigitte Böhnhardt: «Spielst du jetzt eigentlich die Hausfrau für alle beide?»
Beate Zschäpe: «Ja.»
Brigitte Böhnhardt: «Und mit wem bist du so zusammen?»
Beate Zschäpe: «Eigentlich mit niemandem. Wir sind drei Freunde. Jeder hat sein eigenes Zimmer.»
Ein anderes Mal, als dieselbe Frage aufkommt, antwortet Zschäpe: «Ich bin mit dem Uwe zusammen», erinnert sich Brigitte Böhnhardt. «Ich habe damals ganz vergessen zu fragen, welchen Uwe sie meint, weil ich davon ausging, sie meint meinen Uwe.»
Sie reden noch ein bisschen über die Katzen und den Haushalt, aber im Kopf von Mutter Böhnhardt will das alles nicht zusammengehen. «Wie kann eine junge Frau mit zwei jungen Männern zusammenleben, ohne mit irgendjemandem liiert zu sein? Also, das erschließt sich mir nicht.»
Auf die Eltern Böhnhardt wirken die nun bereits 28-, 27- und 25-jährigen Kinder älter und reifer; seit vier Jahren leben sie bereits versteckt im Untergrund. «Äußerlich hatten sie sich ansonsten nicht verändert. Sie sahen noch genau so aus wie in der Zeit vor ihrem Verschwinden 1998», erinnert sich Frau Böhnhardt.
Sie und ihr Mann sind vollkommen überrascht, als eine Stunde vor dem Abschied einer der drei plötzlich sagt: «Wir stellen uns auf keinen Fall, wir gehen jetzt weg.»
Die Ankündigung, Deutschland verlassen und die Böhnhardts nicht wiedersehen zu wollen, trifft die Eltern sehr. «Ich hab das aber nicht geglaubt, ich habe das in dem Moment überhaupt nicht erfasst», sagt Brigitte Böhnhardt heute. Trotzdem lässt sie sich nichts anmerken. «Ich habe ihnen alles Gute gewünscht. Seht zu, dass ihr ordentlich auf den rechten Weg kommt.»
Der Abschied wird furchtbar. «Am Ende haben alle fünfe geheult», erinnert sich Jürgen Böhnhardt. «Ich merke auch immer noch die Umarmung von dem Uwe Mundlos, der mir auch noch mal aufgetragen hat, seine Mutti zu grüßen, die er sehr geliebt hat.» Während Mutter Böhnhardt das erzählt, stockt sie, sie muss sich die Tränen verkneifen. «Ich sehe den immer noch, und ich spüre auch immer noch den Druck von Uwe Mundlos’ Händen auf meiner Schulter. Ich habe ihm in sein Ohr geflüstert, du bist der Älteste, pass auf den Uwe auf. Beate habe ich ganz lange umarmt und hab gesagt, Mädchen, überleg dir das doch. Du bist eine Frau, was willst du denn machen?» Sie umarmt ihre Fast-Schwiegertochter damals lange, dabei beginnt auch Beate Zschäpe zu schluchzen.
Die gesamte Rückfahrt nach Jena weint Brigitte Böhnhardt. «Ich habe tagelang nur geheult. Ich wusste in dem Moment, die meinen das ernst.» Die Eltern sind davon überzeugt, dass ihr Sohn, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos ins Ausland gehen werden.
In den kommenden Jahren warten die Böhnhardts weiter auf ein Zeichen, auf einen Zettel im Briefkasten, eine Notiz von Freunden, einen Anruf. Nie wieder kommt eine Nachricht, sodass sie irgendwann hoffen, die
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