Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Titel: Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Fuchs , John Goetz
Vom Netzwerk:
vierspurige, vielbefahrene Stadtautobahn. Vor allem Ausländer betreiben hier kleine Geschäfte und Gaststätten. Fast jeder zweite Bewohner im Viertel ist Türke.
    Mehmet Kubaşik stammt aus den kurdischen Gebieten im Süden der Türkei, nah an der Grenze zu Syrien. Er wird in der Ortschaft Pazarcik am Rande des Kartalkaya-Stausees geboren. Die inoffizielle «Hauptstadt der Kurden», Diyarbakir, liegt nur knapp 350 Kilometer entfernt. Bekannt wird die Region vor allem durch die blutigen Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und Partisanen der kurdischen Terrororganisation PKK. Damals ist es ein Gebiet, in dem man seine Kinder nur ungern großzieht.
    Bekannte beschreiben Mehmet Kubaşık als ruhigen, besonnenen Menschen, der hart und viel arbeitet. «Er war ein Familienmensch. Er ging nie in die Kneipe, war nie länger als zwei Tage von uns weg», erinnert sich seine Ehefrau. Hat er seinen Wohnungstürschlüssel zu Hause vergessen, schläft er lieber im Kiosk, um seine Familie nicht zu wecken, wenn er nachts nach Ladenschluss heimkommt. «So war er. Die Familie ging ihm über alles», sagt seine Tochter.
    Es ist ein normaler Kiosktag an diesem 4. April 2006. Bis zur Mittagszeit bedient Kubaşık Kunden, schaut aus dem Fenster, telefoniert mit seinem Bruder in der Schweiz. Dann kommen die beiden unbekannten Männer in den Laden.
    Vera Bozic, die Nachbarin, hat ihnen eben noch in die Augen geschaut.
    Mehmet Kubaşık ist allein im Geschäft. Er steht hinter seinem Verkaufstresen und trägt eine Lederjacke. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt treten an die Theke und schießen ohne Warnung. Der erste Schuss verfehlt den Kioskbetreiber. Der zweite durchschlägt seinen Augapfel und zerschmettert sein Gehirn. Sofort sackt Kubaşık zusammen, kippt nach vorn und bleibt kniend an einem Regal hängen. Die Mörder feuern trotzdem weiter auf ihn. Der dritte Schuss zertrümmert die rechte Schläfe, der vierte landet knapp neben dem Kopf in der Regalwand. Um 13:10 Uhr stellt der Notarzt den Tod vom Mehmet Kubaşık fest.
    Später sagt die Tochter von Mehmet Kubaşık zur Polizei, dass ihr Vater keine Feinde gehabt habe. In der Türkei nicht und auch in Deutschland nicht. Sie ist überzeugt, dass er von Neonazis ermordet wurde. «Aber die Beamten haben nicht auf mich gehört.»

39
    Tele-Internet-Café
    Auf dem Rückweg von Dortmund nach Zwickau entscheiden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, in Kassel zu halten. Sie wollen noch jemanden ermorden.
    Am 6. April 2006 öffnet der 21-jährige Halit Yozgat morgens sein «Tele-Internet-Café». Vor zwei Jahren hatte ihm sein Vater den Laden gekauft und die Einrichtung finanziert, damit sein Sohn etwas Sinnvolles zu tun hat. Das Internetcafé befindet sich im Erdgeschoss eines Wohnhauses in der Holländischen Straße. Sie ist eine graue Verkehrsader, eine Hauptstraße der Kasseler Nordstadt, an der viele Geschäfte leer stehen, vor allem Türken leben hier. Im Vorderraum des Cafés bietet Halit Yozgat seinen Kunden sechs Telefonzellen, vor allem für Auslandsgespräche, und im Hinterraum stehen sieben Computer mit Internetzugang.
    Yozgat wurde in Kassel geboren und verbrachte hier eine normale Jugend. Freunde beschreiben ihn als einen ruhigen und religiösen Menschen, er ist Mitglied im türkischen Kulturverein um die Ecke. Als Halit Yozgat 2003 seinen 18. Geburtstag feierte, hat er die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Seit einiger Zeit besucht Yozgat nach der Arbeit jeden Tag ab 17 Uhr den Abendunterricht in der Kasseler Goetheschule, um seinen Realschulabschluss nachzuholen.
    Heute, am 6. April 2006, wartet Halit Yozgat bereits ungeduldig auf seinen Vater, der ihn im Internetcafé ablöst, damit er zur Schule gehen kann. Es ist einiger Betrieb an den PCs und in den Telefonzellen. Ein Iraker telefoniert, auch eine türkische Frau sitzt mit ihrem Kind in einer der Zellen im Vorderraum. Zwei Jugendliche und ein Mann Mitte vierzig benutzen die Rechner im Hinterraum. Sechs Kunden befinden sich insgesamt in dem Laden, als kurz vor 17 Uhr zwei neue Kunden zur Tür hereinkommen.
    Doch die beiden Männer wollen nicht chatten, sie wollen töten.
    Innerhalb weniger Sekunden holen sie eine Pistole mit Schalldämpfer hervor. Einer der Männer zielt zweimal auf den Kopf von Yozgat, der hinter seinem Schreibtisch sitzt. Die Schüsse zertrümmern die Schläfe und den Hinterkopf des Opfers. Halit Yozgat rutscht vom Stuhl und bleibt mit angewinkelten Armen bäuchlings auf dem staubigen Boden

Weitere Kostenlose Bücher