Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Gewalt an der Waffe und am Gürtel – an dem eine Handschelle, ein Munitionsmagazin und eine Taschenlampe hängen – , dass dabei der angeschossene Polizist auf den Schotterboden vor das Auto fällt. Kiesewetters Kollege bleibt regungslos auf dem Rücken liegen, während die Mörder flüchten. Der Polizist wird schwer verletzt mehrere Wochen im Koma liegen. Michele Kiesewetter ist sofort tot.
Später werden die Ermittler des Landeskriminalamts Baden-Württemberg herausfinden, dass den Tätern die Waffe und die Handschellen genauso wichtig waren «wie der Schusswaffenangriff selbst». Sie glauben, dass es den Mördern auch um die Gegenstände ging: «Die Wegnahme wäre in diesem Zusammenhang als Erbeuten von Trophäen deutbar.» Lampe, Handschellen und die beiden Polizeiwaffen Heckler & Koch P 2000 seien für die Täter «Insignien der polizeilichen Macht/Überlegenheit», heißt es im Ermittlungsbericht des LKA im Jahr 2010. Damit hätten die Angreifer ihre Macht demonstriert, «eigene Überlegenheitsbedürfnisse» befriedigt oder «erfahrene Unterlegenheit gegenüber der Polizei» kompensiert.
Die Ermittler sehen das Motiv für den Angriff im «grundsätzlichen Ressentiment gegen die Polizei als Institution». Kriminaltechniker entschlüsseln 2011 eine Datei auf den Rechnern der Zelle in Zwickau, die den Namen «aktion polizeipistole» trägt. Auch die Generalbundesanwaltschaft geht davon aus, dass das Trio mit dem Mord in Heilbronn den angeblich ohnmächtigen Staat und seine Repräsentanten treffen wollte. «Dass die Täter diese Gegenstände als eine Art Trophäen wollten, bringt möglicherweise zum Ausdruck, dass sie die Herrscher über Vertreter des Staates sind», sagt Rainer Griesbaum, stellvertretender Generalbundesanwalt.
Gegen 14 Uhr entdeckt ein Passant die blutverschmierten Polizisten und bittet einen Taxifahrer, einen Notruf abzusetzen. Sofort wird eine Fahndung ausgelöst, eine Hubschrauberstaffel steigt in die Luft, die Taxizentralen werden benachrichtigt und alle verfügbaren Streifenwagen zur Fahndung losgeschickt.
Während der Ringalarmfahndung rund um Heilbronn herum wird an diesem Tag unter 2000 gesichteten Fahrzeugen um 14:37 Uhr auch ein Wohnmobil registriert, das in Chemnitz angemeldet ist, es hat das Kennzeichen C-PW 87. Dieses Auto hatte Uwe Böhnhardt neun Tage zuvor mit seiner Tarnidentität «Holger G.» bei einer Caravanvermietung in Chemnitz ausgeliehen, Buchungsnummer 0517.
Noch am Tag der Exekution der beiden Polizisten ruft Uwe Böhnhardt bei dem Verleih an und sagt, dass er das Wohnmobil nicht wieder in Chemnitz abgeben kann – so wie es eigentlich vertraglich vereinbart war. Wahrscheinlich haben Mundlos und Böhnhardt Panik bekommen, sie könnten auffliegen, als sie das große Polizeiaufgebot bemerkten.
Wenige Stunden später setzt sich der Besitzer der Caravanvermietung in den Zug nach Heilbronn, um seinen Mietwagen dort wieder entgegenzunehmen. Diese ungeplante Extrareise verärgert den Vermieter so sehr, dass er Uwe Böhnhardt nie wieder einen Wagen verleihen wird. Die vergangenen sieben Jahre hatte die Zelle alle Autos für ihre Urlaubsreisen, Mordtouren und Banküberfälle hier gemietet.
Ein Ermittlungsbericht des LKA Baden-Württemberg beschreibt die beiden Täter später bereits ganz treffend: Es handele sich wohl um zwei Männer, die über «Routine im Umgang mit Schusswaffen» verfügen. Zwischen den Killern herrsche ein «sehr enges Vertrauensverhältnis im Sinne einer ‹verschworenen Gemeinschaft›». Es sei darum möglich, dass sie auch bereits vorher Straftaten zusammen begangen hätten. «Eine Täter-Opfer-Beziehung» liege nicht vor, vielmehr sei «von fremden Tätern auszugehen».
Aber in entscheidenden Punkten irrt das Täterprofil des LKA. Die Fahnder vermuten die Mörder wegen der guten Ortskenntnis in Heilbronn. Darum seien die Täter in der «örtlichen kriminellen Szene» zu suchen. Weil nach dem Mord kein Bekennerschreiben auftaucht, glauben die Polizisten auch nicht an einen «politisch motivierten Anschlag gegen Staatsorgane».
Dass sich die LKA-Ermittler geirrt haben, erfahren sie ein Jahr später. Die Polizei findet 2011 die beiden Tatwaffen, die Wehrmachtspistole Radom VIS35 und die russische Pistole Tokarew TT 33, im Brandschutt des zerstörten letzten Verstecks des «Nationalsozialistischen Untergrunds» in Zwickau.
Der Mord an der Polizistin ist ihr letzter Mord.
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Teil Vier
Das Stillhalten
43
Fehmarn
Am
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