Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Bayern ist nicht kompatibel zum Programm «Inpol», das alle anderen Landeskriminalämter benutzen. Da die Daten zwischen «Easy» und «Inpol» nicht automatisch abgeglichen werden können, müssen Beamte alle neuen Informationen per Hand einpflegen. Das ist aufwendig und kostet Zeit.
Nach viel Hin und Her übersendet das Landesamt für Verfassungsschutz Bayern schließlich nach acht Monaten die Personalien von 682 Nürnberger Rechtsextremen an die Soko «Bosporus». Die Sonderkommission startet 125 Rasterfahndungen, überprüft insgesamt 112000 Personen, Millionen Kreditkartendaten und Zehntausende Hotelbuchungen. Insgesamt werten die Ermittler 32 Millionen Datensätze aus und gehen 3500 «Ermittlungsspuren» nach. «Eine heiße Spur war nicht dabei», sagt der ehemalige Leiter der Soko «Bosporus» heute.
Der immense Aufwand ist umsonst, denn die Soko sucht nur am «Ankerpunkt» im Großraum Nürnberg.
Später gibt ein Hauptkommissar der Kriminalpolizei Nordhessen, die den Mord in Kassel untersucht, ein Interview. Darin sagt er: «Meine persönliche Theorie ist, dass es sich bei dem Täter um jemanden handelt, der die Opfer nach ihrer Ethnie und nach dem Umfeld aussucht. Also, er sieht nicht das einzelne Opfer, sondern er sieht hier einen Südländer, einen Türken in einem türkischen Geschäft.» Der Polizist war auf der richtigen Spur.
Doch ihm fehlten wichtige Fakten. Einzig und allein eine Gewissheit zieht sich durch alle ungeklärten Morde an ausländischen Kleinunternehmern der vergangenen sechs Jahre: Die Mordwaffe ist immer eine Česká 83, Kaliber 7,65 Millimeter.
Im August 2006 spricht die Süddeutsche Zeitung mit dem Profiler, der die Soko «Bosporus» berät und die Persönlichkeitsprofile des Täters erstellt hat. Er sieht die Beweggründe des Mörders eher im Persönlichen: «Ihn treibt ein ausgesprochenes Zerstörungsmotiv.» Der Profiler glaubt, das Motiv müsse mit einem Erlebnis zu tun haben: «Irgend etwas mag im Umgang mit Türken vorgefallen sein, das ihm extrem negativ oder demütigend erschien.» Der Täter sei wohl eher ein Serientäter, der seine Opfer zufällig auswähle, nach deren türkischem Erscheinungsbild. Für einen Rechtsextremisten gäbe es aber keinerlei Anhaltspunkte: «Neonazis könnten kein politisches Kapital aus den Morden schlagen.»
Im Jahr 2009 nimmt sich der Spiegel nochmals der Mordserie an und berichtet mit Verweis auf die Ermittler von einer Verbindung der Morde zur deutschen und türkischen Wettmafia: «Wer nicht zahlen kann, der wird übel zugerichtet.» Der Anwalt eines verdächtigten Türken spricht von «Verleumdung».
Nur wenige Monate vor Bekanntwerden der Terror-Zelle 2011 berichtet der Spiegel wieder über die unaufgeklärten Mordfälle. Die Zeitschrift vermutet hinter den Taten nun eine «mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern». Im August 2011 legt das Magazin nach: Es zitiert eine Quelle der Polizei, die behauptet, die Ermittler zu «einer romantischen Villa nahe des Bodensees führen» zu können. Dort liege die Tatwaffe in einem Tresor. Der Spiegel schreibt: «Die Morde, so viel wissen die Ermittler, sind die Rechnung für Schulden aus kriminellen Geschäften oder die Rache an Abtrünnigen.»
Nur neun Wochen, nachdem dieser Artikel im Spiegel erscheint, erschießen sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach.
41
Privatleben
Nachdem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos innerhalb von drei Tagen zwei Menschen in Dortmund und Kassel erschossen haben, kommen sie in ihr unauffälliges Leben nach Zwickau zurück. In Sachsen schneiden sie weiter ihr Bekennervideo, suchen sich neue Brillen bei Fielmann aus und kaufen eine neue Videokamera. Damit fährt das Trio im Sommer 2006 in den Urlaub.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt schnüren zwei Fahrräder auf das Dach eines Škoda-Kombis und verlassen Zwickau, um im Ostseebad Grömitz auszuspannen. Auf einem Foto aus diesem Urlaub sieht man, wie Beate Zschäpe sich einen Schuh anzieht, während sie auf dem Beifahrersitz im Auto lümmelt. Auf einem anderen Bild schlendern die drei Urlauber in T-Shirts und kurzen Hosen durch die Einkaufsmeile von Grömitz. Vollkommen entspannt. Ganz so, als ob nichts passiert wäre in den Wochen zuvor.
Die Bilder des Urlaubsglücks speichern sie auf ihrem Rechner im Ordner «Urlaub 2006». Auf derselben Festplatte liegen auch andere Dateien, die sie im Juni 2006 speichern. Es sind Szenen für ihr
Weitere Kostenlose Bücher