Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Grund, warum die beiden Männer die 120 Kilometer mit dem Zug aus Zwickau nach Dresden gefahren sind, ist aber ein anderer: Uwe Mundlos muss die Person, deren Identität er benutzt, unauffällig einem «Systemcheck» unterziehen. Wie heißen die beiden Kinder von B.? Wo arbeitet er jetzt? Will er in Zukunft heiraten? Mundlos braucht diese Informationen, um seine Tarnidentität weiter glaubwürdig aufrechtzuerhalten.
Die drei Männer setzen sich an den Küchentisch, trinken Kaffee, B. steckt sich eine Zigarette an. «Wir haben über meine Kinder gesprochen, über die Arbeit, was ich so mache, ob ich noch Computer spiele, so alte Kamellen halt», erinnert sich Max-Florian B. «Sie haben viel zu meinem Leben gefragt.» Ein wenig Angst bekommt B. vor Uwe Böhnhardt. Immer wieder fährt dieser Uwe Mundlos über den Mund, fällt ihm ins Wort, bevormundet den vier Jahre Älteren.
Im selben Jahr veröffentlicht der Rechtsrocker Daniel Giese unter dem Namen «Gigi & die Braunen Stadtmusikanten» die CD «Adolf Hitler lebt!». Das Plattencover zeigt das Kinderfoto eines amerikanischen Jungen, dessen Eltern ihm «Adolf Hitler» als Vornamen gegeben hatten.
Auf der LP sind 17 Lieder, der Stil ist immer gleich: Giese covert deutsche Schlager und «Neue Deutsche Welle»-Hits mit Neonazitexten. Am 13. September 2010 indiziert die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien die Platte, weil darauf der Holocaust geleugnet wird. Das Lied Nummer 4 finden die Prüfer nicht beanstandenswert. Es heißt «Döner-Killer»:
Neun mal hat er es jetzt schon getan
Die Soko Bosporus, sie schlägt Alarm
Die Ermittler stehen unter Strom
Eine blutige Spur und keiner stoppt das Phantom.
Sie drehen durch, weil man ihn nicht findet
Er kommt, er tötet und er verschwindet
Spannender als jeder Thriller
Sie jagen den Döner-Killer
Neun mal hat er bisher brutal gekillt
Doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt
Profiler rechnen mit dem nächsten Mord
Die Frage ist nur wann und in welchem Ort.
Hunderte Beamte ermittelten zuletzt
300000 Euro sind auf ihn ausgesetzt
Alles durchleuchtet, alles überprüft
Doch kein einziger Hinweis und kein Tatmotiv.
Am Dönerstand herrschen Angst und Schrecken
Kommt er vorbei, müssen sie verrecken
Kein Fingerabdruck, keine DNA
Er kommt aus dem Nichts – doch plötzlich ist er da
Wer stillt seinen Hunger und wann geht er wieder jagen
Wann taucht er wieder auf, kein Fahnder kann es sagen.
Wer ist der Nächste, wann ist es soweit
Sie haben ihn längst verloren, den Wettlauf gegen die Zeit
Bei allen Kebabs herrschen Angst und Schrecken
Der Döner bleibt im Halse stecken
Denn er kommt gerne spontan zu Besuch
Am Dönerstand, denn neun sind nicht genug.
Die CD «Adolf Hitler lebt!» erscheint im Musikverlag «PC Records», einem Label der rechten Szene, das von Uwe Mundlos’ altem Bekannten Hendrik L. gegründet wurde. Das Label sitzt in Chemnitz, der Stadt also, in dem das Trio 1998 untergetaucht war und seine ersten Helfer fand.
Was wusste Giese, was wusste die Szene 2010 über die Hintergründe der Mordserie?
Im April 2011 hält ein schwarzer BMW mit Chemnitzer Kennzeichen vor dem Haus von Holger G. im niedersächsischen Lauenau. «Böhni» und «Mundi», wie G. seine alten Freunde aus Jenaer Zeiten nennt, kommen zu Besuch. Auch Beate Zschäpe sitzt auf der Rückbank des Autos. Die drei setzen ihn unter Druck, sie noch mal zu unterstützen: «Du hast uns schon vor zehn Jahren deinen Reisepass gegeben. Für ein Kneifen ist es jetzt zu spät.»
Holger G. willigt ein. Uwe Böhnhardt schert ihm daraufhin die Haare, gibt ihm seine Brille mit den ovalen Gläsern und ein Karohemd. G. sieht wirklich ein wenig aus wie Böhnhardt. Noch am selben Tag fahren sie alle vier nach Rodenberg, in ein Fotostudio. Vor einer blauen Wand entstehen acht Passbilder, die Beate Zschäpe bezahlt, während Böhnhardt und Mundlos im Auto warten. Auf dem Passamt beantragt Holger G. nur wenig später einen Reisepass auf seinen Namen, aber mit den Fotos, die Böhnhardt ähneln. Nach ein paar Stunden hat Uwe Böhnhardt eine aufgefrischte Identität, Reisepass Nummer C25JCHFH2, gültig bis 2021.
Nach dem Wegzug aus der Polenzstraße hält Beate Zschäpe weiter Kontakt zu einigen Frauen aus dem Haus, sie sind ihre Freundinnen geworden. «Ab und zu kam sie vorbei, mit dem Fahrrad, und brachte dann immer eine große Flasche Wein mit», erzählt die Nachbarin Peggy Prohlis. «Wir setzten uns dann auf die Wiese hinterm Haus und redeten und
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