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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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Wenn Jake und seine Mutter unter sich waren und sie ihn ständig liebevoll und aufmunternd anstrahlte und über »diese blöde Göre« lästerte, wenn sie sich total lächerlich auf seine Seite schlug und fast nicht wiederzuerkennen war in ihrer boshaften Lust, ihn als den Geschädigten und Daisy als Teufelin darzustellen, dann war es fast okay. Jake war ihr schrecklich dankbar für ihre mütterliche Kurzsichtigkeit, für ihre unkritisch ergebene Unterstützung, wäre ihr gleichzeitig aber auch am liebsten an die Gurgel gegangen, sooft sie ihm einen aufmunternden, liebevollen Blick zuwarf. Dieses zum Kotzen kranke, schwache Gefühl war aber gar nichts verglichen mit dem, wie es sich in Dads Gegenwart anfühlte: arbeitslos zu Hause hocken, arbeitslos zu Hause hocken, arbeitslos zu Hause hocken, und alles nur wegen ihm.
    Eine Woche war vergangen. Nur eine Woche. Nur eine Woche, in der sein Leben sich in etwas Fremdartiges verwandelt hatte, und schon war diese verrückte neue Realität etwas Normales – eine Normalität, so beliebig und vorhersagbar, dass er sich schon ganz langweilig vollkommen dran gewöhnt hatte. Mehr war es nicht: erst eine Woche. Ein bisschen mehr. Zehn Tage. Denn mittwochs kam immer der New York Observer heraus. Und weil er an einem Montag von der Schule verwiesen worden war, kam am zehnten Tag von Jakes Exil die Kacke schließlich zum Dampfen. Sicher, es hatte auch schon vorher in der Klatschpresse rumort, und seine Mutter, die sowieso ständig wie gebannt an UrbanBaby.com klebte, dem Chatforum von New Yorker Müttern, konnte überhaupt nicht mehr aufhören, die Beiträge zu lesen. »Haben diese Leute eigentlich kein eigenes Leben?«, murmelte sie immer wieder vor sich hin. »Haben die nichts Besseres zu tun, als blödsinnige, gemeine Sachen zu schreiben über etwas, wovon sie keine Ahnung haben? Richard, diese Mütter, das sind die Hexen von Eastwick. Die sind korrupt, eifersüchtig und entsetzlich.« Und dabei blieb sie weiter an ihrem Laptop kleben, festgepappt an diesem ganzen Onlineklatsch, von dem sie den Blick nicht mehr losreißen konnte. »Das kommt davon, wenn Frauen nicht arbeiten«, sagte sie. »Bitte, Gott, das darf mir nie passieren.« Doch als dann am zehnten Tag der Text im Observer stand (»Prepschool-Pornathon« – »Geschmackloser geht’s ja wohl nicht!«, sagte seine Mutter), war die Kacke schließlich ganz gigantisch am Dampfen. Sämtliche Details waren aufgeführt! Die Reporterin des Observer wusste Bescheid über Jake und seine Mutter im Büro des Schulleiters, darüber, dass die drei sich das Ding gemeinsam angeschaut hatten. Der darauffolgende Beitrag im Gawker nannte es »ein Bermudadreieck pädophiler Connaisseure« und krakeelte: »Threadgill ist nicht der einzige Direktor einer Privatschule in New York City, der als ›Vernascher minderjähriger Mädchen‹ enttarnt wurde – letzten Herbst wurde der Leiter der feinen Uptown Prepschool dabei erwischt, wie er vierzehn- und fünfzehnjährige Mädchen über Online-Chatrooms zum Sex aufforderte«. Jakes Mom war erbleicht, als sie seinem Vater über die Schulter geschaut und es gelesen hatte. »Das ist doch entsetzlich, Richard. Threadgill ist ein Widerling, okay, aber doch kein Vergleich mit dem Kerl, der Jagd auf kleine Kinder macht.« Sein Vater hatte daraufhin ein Gesicht gemacht, als würde er sich gleich übergeben, die Zeitung beiseitegelegt und war wieder in den Park laufen gegangen. Am nächsten Morgen stand Jakes Geschichte hinten auf der Klatschseite in der New York Post , allerdings nicht mehr als bloße Nachrichtenmeldung. Die Kids von der Wildwood hatten T-Shirts angefertigt mit der Aufschrift: »Freiheit für Jake Bergamot«. Ein ganzer Haufen hatte während der dritten Stunde vor der Schule ein Sit-in veranstaltet. Der Observer hatte einen Solidaritätsaufruf gestartet – trotz des abscheulichen »Pornathon«-Artikels. Der war abfällig und fies und hörte sich an, als wären sie lauter reiche, verwöhnte Gören. Was sie auch waren, viele von den Kids waren reich und verwöhnt – »Wohlstandswaisen«, sagte seine Mutter zu seiner Patentante Stacey anlässlich eines ihrer seltenen Telefonate. Doch nicht alle Kids waren reich und verwöhnt. Henry und James jedenfalls nicht. Jake auch nicht. Audrey vermutlich ebenfalls nicht. Ihre Eltern waren alte Hippie-Sozialarbeiter, hatte Jake gehört, die erst in Northampton oder sonst irgendwo auf Long Island gewohnt hatten, bis sie sie aus China geholt hatten, und

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