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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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würde, wo um alles in der Welt ich mich aufgehalten hatte. Ansonsten lag hier der Schnee dicker als auf Helgoland, und es war sogar empfindlich kälter. Unmittelbar unter den Ankermasten lagen übermannsgroße polierte Metallkugeln wie Eier im Schnee – der Wind hatte sie teilweise freigelegt, und das Licht der Signallampen spiegelte sich in der kupferfarbenen Oberfläche. Sie waren von einer schlichten, rätselhaften Schönheit, die einen bemerkenswerten Kontrast zu der verrostenden Landeplattform bildete. Weiter im Inneren des Ortes stromerten noch Menschen durch das unwegsame Gelände und die schneidend kalte Nacht, die meisten davon außerordentlich betrunken. Einige Huren standen um ein Kohleöfchen und ließen sich probeweise von kichernden Freiern begrapschen – ich sog die Luft ein und wandte mich ab, doch neben mir grinste der magere Arfst über meine vorgeschützte Unschuld, und sogar der junge Friedrick sah staunend genauer hin.
    Das hätte ich mir ja denken können. Alkohol und Freudenmädchen – ein Piratenhafen, kein Stück besser als Æstas ärmstes Viertel – schlimmer gar, unschicklicher.
    Dass dies nicht zu allen Teilen stimmte, sollte ich zwar noch erfahren, jedoch nicht in dieser Nacht. In dieser Nacht fielen mir die zahlreichen abgerissenen nächtlichen Vagabunden auf, die immer wieder in unser durch den Nebel und eine einzelne Öllampe extrem begrenztes Sichtfeld taumelten. Der Lärm aus dem Innenraum einer der beiden Wirtschaften, die noch geöffnet hatten, wandelte sich plötzlich in ängstliches Geschrei, kreischendes Lachen und dann einen Schuss, der das sägende Spiel einer Fidel kurz unterbrach. Keiner der friesischen Likedeeler reagierte, doch ich nahm an, dass nächtliche Schüsse auch sie beunruhigen mussten.
    Abseits der Spelunken, die vermutlich das Zentrum des zweifelhaften Ortes bildeten, gab es kein Licht mehr, keine Laternen, die an Kneipenschildern baumelten und keine Öfchen, deren schummriges Kohlefeuer ein wenig die Umgebung erhellte. Hier war es nun pechschwarz, und außerhalb des Lichtscheins unserer Lampe waberte der Nebel wie ein lebendes Wesen. Ich fürchtete, einfach an einer unsichtbaren Kante abzustürzen, und im Dunkeln die Flanke des Berges hinabzufallen, doch Tomke und die anderen schienen sich über unseren Weg im Klaren zu sein.
    Ein eigenartiges Geräusch schlich sich mit den wabernden Schlieren heran – ein Sirren und Summen, dazwischen ein Ton wie gewaltige schlagende Flügel. Friedrick kam meiner Frage, die von den Friesen sicherlich wieder als töricht gewertet worden wäre, zuvor. „Was ist das? Ist das ein … Spukt es hier?“
    „Es ist der gute Geist Hochgotlands“, erwiderte Onnen, der Ingken mehr trug als stützte.
    „Das ist wahr. Es ist eine Maschine, ihr werdet es morgen sehen“, erklärte Tomke nur unzureichend.
    „Alle raus jetzt! Nach der Schweinerei ist der Laden dicht!“, dröhnte hinter uns eine Stimme, und die letzten Gäste wurden lautstark aus der Gaststätte gefegt. Es klatschte einige Male, Gelächter brandete wieder auf, eine Frauenstimme kreischte, doch das Geräusch wandelte sich plötzlich in rhythmisches Stöhnen. Nicht nur ich blickte mich um, doch der Nebel verschluckte alle Bilder.
    Tomke verlachte unsere Bemühungen, und rasch richtete ich meine Augen wieder nach vorn. „Hochgotland“, knurrte ich.
    „Lausig“, seufzte Onnen, der immerhin seine nicht zu verachtende Menge Körperfett hatte, das ihn wärmte. „Meinst du, wir kriegen ihn noch wach?“
    „Na, ich bleibe sicher nicht aus Rücksicht auf seine Nachtruhe hier draußen in der Kälte“, schnaufte Eiken zurück und stopfte seine Fäuste in die Taschen. Albert ging gefesselt vor ihm her, wirkte nun jedoch gefasster und nicht mehr so, als wolle er mich inmitten einer mit Wasserstoff gefüllten Gashülle erschießen.
    Friedrick taumelte gegen mich, so müde war er, und ich fing den vielleicht Dreizehn- oder Vierzehnjährigen an der Schulter auf. „Na, komm, ich glaube nicht, dass es noch weit ist.“
    Wir erreichten ein niedriges Warenlager, dessen Dach sich in der Mitte unter dem Gewicht des Schnees nach unten wölbte. Daran schmiegte sich eine winzige Hütte, und Tomke trat mit einem Räuspern vor und hämmerte mit der Faust gegen die Tür.
    „Hier sind Tomke Haukestochter und Æronauten der Frijheid . Mach auf, du lausiger Geldscheffler!“
    Ich ließ meine Augen über die wartenden Gesichter gleiten. Tjarko war erster Steuermann, Onnen zweiter – war

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