Die zerbrochene Uhr
möglichen Leute, Schüler, Kollegen, auch eine über den Pedell. Andere mit mir unbekannten Namen. Hinter jedem steht etwas. Dieser zum Beispiel: ›P. Böck. Trinkt neuerdings sehr teuren Wein. Woher?‹ Oder dieser: ›Mademoiselle Koch. Erster Donnerstag im Juni (nach Sonnenuntergang) mit Stadtpfeiffer Juhl allein auf Bastion Eberhardus.« Lauter Nichtigkeiten, die womöglich für diese Leute aber keine sind. Donner war ein gemeiner pedantischer Schnüffler und Intrigant. Er hat all das gesammelt, und vielleicht hat er es auch benutzt. Nicht nur bei Mademoiselle Nieburg und Monsieur Bucher. Aber vor allem«, sie lehnte sich triumphierend zurück, »vergeßt Ihr eines: Er erwartete noch anderen Besuch, und zwar von außerhalb der Schule. Warum hätte er sonst dem Pedell aufgetragen, die Tür offenzulassen? Außerdem ist da noch dieser Brief von seiner Schwester, den solltet Ihr unbedingt lesen.«
Das war Claes, der die Mitteilung über Mademoiselle Koch überaus interessant gefunden hatte, sie war schließlich mit dem Goldschmied vom Jungfernstieg verlobt, sehr lästig, und Wagner schnaubte.
»Das mit der Schultür ist bedenkenswert«, sagte der Weddemeister und klopfte ärgerlich mit den Fingerspitzen auf den Tisch. Godard und Bucher, dachte er. Offensichtlich hatten beide Grund, Donner zu fürchten oder gar zu hassen. Gewiß besaß auch Bucher eine Taschenuhr, die er von dem Uhrmacher nahe seiner Wohnung und Arbeitsstätte warten ließ. Sein Name hatte nicht auf Godards Liste gestanden. War es möglich, daß sie sich zusammengetan und ihres gemeinsamen Feindes entledigt hatten? Wenn Emma davon wußte, würde sie klug genug gewesen sein, den Namen nicht zu notieren. Er mußte unbedingt herausfinden, ob auch Bucher den Uhrmacher kannte. Aber dafür war der Tag schon zu weit vorangeschritten, morgen früh wollte er als erstes Grabbe auf den Weg schicken. Der würde schon etwas herausfinden.
»Müßt Ihr nicht eigentlich dringend zur Domina zurück?« fragte er Rosina plötzlich, wobei er begehrlich auf Donners Notizen sah, die sie immer noch mit ihren Händen bedeckt hielt.
»Eigentlich ja«, sagte Rosina und blätterte schon wieder in ihrem kleinen Stapel, »es macht aber nichts, wenn ich ein bißchen zu spät komme. Die Domina weiß, wer ich bin und was ich im Kloster tue.«
»Was??« Das kam unisono aus zwei Mündern.
»Ja.« Rosina nickte, ohne aufzusehen. »Sie weiß alles. Seht mich nicht so empört an, mir blieb keine Wahl, als es ihr zu beichten.« Sie zog einen Zettel aus dem Stapel, überflog ihn flüchtig und steckte ihn umständlich zurück an seinen alten Platz. Nein, sie würde nicht von der Gespensterjagd im Keller berichten. Dann würde Wagner nichts davon abhalten, sofort mit seinen Weddeknechten das ganze Stift aufzuscheuchen. Das entsprach seiner Pflicht, und es war unwahrscheinlich, daß sie ihn von der – wie sie und die Domina sicher glaubten – besseren Strategie überzeugen konnte: Anstatt alle Stiftdamen und ihre Bediensteten in Aufregung zu versetzten, was blitzschnell zum Stadtgespräch geworden wäre und den Dieb gewarnt hätte, still und heimlich abwarten, aufpassen und im richtigen Moment zur Stelle sein.
»Sie ist klug und eine scharfe Beobachterin«, sagte Rosina schließlich und bot den beiden ärgerlichen Gesichtern ihr strahlendstes Lächeln. »Zuerst hat die Köchin geknurrt, sie habe noch nie von einer Rosa im Herrmannsschen Haushalt gehört, dann fand die Domina sehr schnell, ich entspreche nicht so ganz ihrem Bild eines Dienstmädchens oder einer Zofe. Es mag schon sein, daß mir meine Haltung und Sprache nicht devot genug geraten sind, sicher hätte ich auch hilfloser reagieren sollen, als sie mich plötzlich auf französisch in einen Disput über Molière verwickelte. Und schließlich – die Konventualinnen leben nicht so aus der Welt, als daß sie nicht an allem teilhätten, was in der Stadt geschieht – erinnerte sie sich, daß in den letzten Jahren eine Komödiantin im Hause Herrmanns ein und aus geht, so hat sie gesagt, ein und aus geht, und daß die den Weddemeister, nun ja, daß ich Euch hier und da ein wenig unterstützt habe. Sie hat mich gefragt, und ich habe ihr alles erzählt. Was hätte ich sonst tun sollen? Es gibt auch gar keinen Grund zur Sorge. Sie war nur zu gerne bereit, die ganze Geschichte für sich zu behalten und das Spiel mitzuspielen. Was alles für mich sehr viel einfacher macht. Und sie ist ganz ohne Zweifel äußerst
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