Die zerbrochene Uhr
verschwiegen.«
»Na gut, Rosina.« Claes Herrmanns lehnte sich zurück und grinste. »Wenn Ihr der Ehrwürdigen Jungfrau vertraut, dann wollen wir es auch tun. Mir kommt diese ganze Geschichte mit dem geöffneten Klostergang sowieso nicht so wichtig vor, wie es zuerst schien. Was meint Ihr, Wagner?«
Wagner meinte »nun ja« und schnaubte heimlich noch mehr. Nun war es sowieso zu spät. Rosina mochte an die Verschwiegenheit der Domina glauben, er nicht. Klatsch war schließlich das Lebenselixier alter Damen, keine – auch keine Ehrwürdige Jungfrau – würde sich einen so fetten Brocken entgehen lassen. Wie sollte man diskret arbeiten, heimlich und listig, damit der Täter seine Verfolger nicht bemerkte, wenn die halbe Stadt um deren Schliche wußte?
»Hier!« rief Rosina. »Hier ist der Brief aus Husum. Er geht Simon an. Simon Horstedt, den Neffen des Toten. Ein wirklich sehr interessanter Brief.«
Der Trick funktionierte. Wagner würde die neue Fährte zwar nicht endgültig vergessen, aber doch für ein paar Minuten.
»Am besten lese ich Euch den wichtigen Absatz vor. Zunächst schreibt sie nämlich sehr ausführlich über den Zustand des Apothekengartens, über die Befindlichkeit irgendeiner Nachbarin und«, Rosina legte den ersten Bogen zurück auf den Tisch und begann den zweiten zu überfliegen, »und über die ausgezeichnete Wirkung einer neuen Fenchelteemischung, einer Erfindung ihres Gatten, gegen Belästigungen der Verdauungsorgane. Ich sagte ja, der Anfang ist nicht wichtig, aber hier, da ist es. Sie schreibt, ein Advokat aus England habe einen Brief geschickt, und wie froh sie sei, daß ihr lieber Asmund des Englischen mächtig sei und das auf so vorzügliche Weise – jetzt kommen noch ein paar Zeilen über weitere Vorzüglichkeiten Monsieur Horstedts. Der Advokat, heißt es dann endlich, habe ihr mitgeteilt, daß ihr lieber Ziehsohn Simon mit einem reichen Erbe bedacht worden sei, allerdings erst an zweiter Stelle, was soviel bedeute wie gar nicht. Der Erbe sei nämlich sein englischer Cousin, der, so erläutert sie, müsse der Sohn der Schwester ihrer lieben verstorbenen Schwägerin, der Gattin ihres lieben verstorbenen Bruders Peter sein. Du meine Güte, lauter liebe Verstorbene in dieser Familie! Das Erbe stamme von einem Freund des Großvaters der beiden Jungen, es umfasse nicht nur das Herrenhaus und die Ländereien, sondern auch mehrere, ungewöhnlich ertragreiche Kohlebergwerke. Nach dem schon vor langer Zeit verfaßten Testament gehöre das Erbe dem Sohn der beiden Schwestern, der zuerst geboren worden ist. Da Mr. Alfred Weller, der Vater des erstgeborenen Sohnes, mit amtlichen Siegeln versehene Abschriften der Kirchenbuch-Eintragungen der Geburt beider Jungen vorgelegt habe, sei zweifelsfrei erwiesen, daß Paul Weller, geboren zu Timberbridge am 6. September 1752, acht Tage älter sei als sein Cousin Simon Donner, geboren zu London am 14. September 1752. ›Der ehrliche Mann‹, schreibt sie weiter, ›hatte die Freundlichkeit uns das mitzuteilen, denn falls Paul, Simons lieber Cousin – den er sein Lebtag nie kennengelernt hat, was sehr zu bedauern ist, denn nichts geht über einen guten Familienzusammenhalt, denke daran, mein lieber Adam, ich sage es immer wieder, und es ist wahr –, denn falls Paul stirbt, bevor er selbst ein Kind bekommen hat, tritt Simon das Erbe an. Das ist aber nicht zu befürchten, da sich der junge Master Paul allerbester Gesundheit erfreut.« Dann steht da noch die Anschrift der Familie des Jungen. Mr. Alfred Weller, Covent Garden, London. Das sei keine sehr gute Adresse, läßt Madame Horstedt ihren Bruder noch wissen, ihr Gatte, der liebe Asmund, habe London vor etlichen Jahren besucht und kenne sich aus. Gewiß sei die Familie dennoch äußerst ehrbar, und der liebe Adam solle doch einen recht verbindlichen Brief schreiben zur Festigung der familiären …«
»Halt!« Claes hatte sich redlich bemüht, Rosinas Worten, das heißt den Worten in Madame Horstedts Brief, zu folgen, aber er war nicht sicher, alles richtig verstanden zu haben.
»Verzeiht, Rosina, aber das ist mir alles zu verwickelt. Simon Horstedt hat also in England einen Cousin. Das kann sein, seine Mutter war Engländerin und ist auch in England gestorben, wenn ich mich recht an das erinnere, was Niklas von ihm erzählt hat. Diesen Cousin hat er nie kennengelernt, und der erbt von irgendeinem geheimnisvollen Freund seines Großvaters ein Riesenvermögen, weil er ein paar Tage vor Simon
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