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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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damit er Niklas dort treffe. Eine halbe Stunde später sei der stumme Junge von den Komödianten gekommen, den habe sie auch hinterhergeschickt. Das sage er nur, weil auch Madame Helena sich in der Diele befinde und anfrage, ob der Junge noch hier sei.
     

11. KAPITEL
    MITTWOCH, DEN 10. AUGUSTUS,
    NACHTS
     
    In dieser Nacht dauerte es lange, bis im Hermannsschen Haus am Neuen Wandrahm die letzten Lichter gelöscht wurden. Auch in der Wohnung des Rektors im Gymnasium und in den Zimmern der Beckerschen Komödianten im Haus der Krögerin in der Neustädter Fuhlentwiete fanden alle erst spät in den Schlaf.
    Simon und Muto waren verschwunden, und niemand wußte, warum. Und schlimmer noch: wohin?
    Alle hatten Helena und den Rektor umringt, die Blohm eilig in den Salon hinaufgefolgt waren, auch Anne, Augusta und Christian, und sie mit Fragen überschüttet. Claes’ halbherzigen Beteuerungen, die beiden seien gewiß längst aus Wandsbek zurück und strolchten noch auf den Wällen oder am Hafen herum, hörte niemand zu. Normalerweise hätte das Verschwinden der Jungen eher Ärger als Besorgnis ausgelöst. Aber nach dem Mord im Johanneum war alles anders. So vermochte auch niemand Claes’ zweiter Überlegung zu folgen, wahrscheinlich seien die beiden gar nicht erst nach Wandsbek hinausgewandert, der Weg sei recht weit ohne Pferd oder Wagen, sondern hätten sich gleich ein Vergnügen in der Stadt gesucht. Nicht einmal Christian, der noch in den dunkelsten Schatten helle Flecken aufstöberte. Der älteste Sohn des Hauses hatte gerade erst Tante Augusta aus Wandsbek zurückkutschiert. Nun ließ er sofort den Fuchs satteln und machte sich noch einmal auf zum Gestüt. Das war kaum zu verfehlen, aber vielleicht hatten die Jungen trotzdem den falschen Weg eingeschlagen, waren erst spät angekommen und verbrachten nun die Nacht dort im Heu. Was unwahrscheinlich, aber immerhin möglich war.
    Vielleicht war Simon davongelaufen, dachte Rektor Müller verzagt. Vielleicht war er doch an dem Mord beteiligt gewesen, vielleicht wußte er mehr, als er zugab, und versuchte nun, vor seiner Schuld und der erdrückenden Last seines Gewissens zu fliehen. Womöglich versteckte er sich als blinder Passagier auf irgendeinem Schiff. Dann würden sie ihn nie finden. Andererseits war es zum Glück vieler Eltern gar nicht so einfach, als Schiffsjunge anzuheuern. Das wußte selbst Müller, der sich im Hafen gar nicht auskannte. Keiner durfte geheuert werden, ohne bei der Admiralität gemeldet zu werden, und kaum ein Schiffer würde es wagen, diese Vorschrift zu umgehen. Jedenfalls nicht, wenn gute Kleidung und gebildete Sprache eines Jungen verrieten, daß es irgendwo in der Stadt Menschen gab, die ihn vermissen und sein Verschwinden melden würden.
    Helena eilte zurück zum Krögerschen Haus, und schon wenige Minuten später streiften die Beckerschen Komödianten durch die Stadt. Rudolf und Gesine liefen zum Komödienhaus am Dragonerstall, vielleicht hatte Muto Niklas’ Freund das Theater zeigen wollen, und sie waren durch die morschen Bretter des Bühnenbodens oder von der kaum festeren Galerie gefallen. Titus machte sich mit Filippo und Fritz zum Hafen auf. Jean erbot sich, die Leute im Bremer Schlüssel auszufragen, was Helena nicht gerade selbstlos fand. Sie blieb mit Manon im Krögerschen Haus, damit sie, falls Muto plötzlich heimkehrte, im Neuen Wandrahm Bescheid geben konnte.
    Wo sollte man noch suchen? Die Stadt war viel zu groß, und mit dem Einbruch der Dunkelheit war kaum noch jemand auf den Straßen, den man hätte fragen können.
    Rosina blieb nur, eilig ins Johannisstift zurückzukehren. Schon jetzt mußte es schwer für die Domina sein, das lange Ausbleiben ihres neuen Mädchens zu entschuldigen. Wahrscheinlich würde sie, kaum daß Rosina ihren Salon betrat, eine ordentliche Strafpredigt halten, schön laut, damit es die Köchin hörte und umgehend im ganzen Stift verbreitete. Doch gleichgültig, wie sie empfangen werden würde, sie wollte noch heute nacht Mademoiselle Nieburg ihren Brief bringen. Ohne daß Mette van Dorting davon erfuhr. Wagner hatte zwar die Verwirrung über das Verschwinden der Jungen genutzt und schnell die Papiere aus Donners Ofen eingesteckt, aber Rosina war schneller gewesen. Mademoiselle Nieburgs Brief lag sicher in der Tasche ihres Rockes.
    Im Neuen Wandrahm blieben Anne, Augusta und Niklas zurück. Sie standen an den Fenstern des vorderen Salons, sahen hinunter auf die dunkle Straße und warteten, daß

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