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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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auf der Kommode zeigte, daß die für einen Nachmittagsbesuch übliche Stunde schon um einige Zeit überschritten war, »möchte ich noch eines wissen: Warum bist du gekommen?«
    »Weil ich dich endlich wiedersehen wollte, Mette«, log Augusta, ohne zu zögern. »In unserem Alter ist es doch sehr angenehm, alte Freundinnen wiederzutreffen.«
    »Papperlapapp, meine Liebe. Wir waren nie Freundinnen. Du warst kreuzbrav und sterbenslangweilig, auch wenn ich sehe, daß sich das inzwischen geändert hat, und stumm wie ein Fisch. Wenn dich nur ein Blick traf, ob wohlwollend oder streng, wurdest du zur Maus.«
    »Deine Blicke, meine Liebe«, konterte Augusta mit süßem Lächeln, »waren immer streng. Aber in einem hast du recht: Ich fühlte mich oft wie eine Maus unter Habichten, besonders, wenn du in der Nähe warst. Auch das hat sich inzwischen geändert.«
    Mette van Dorting nickte. Ihre Miene verriet, daß sie mit Augustas Erklärung einverstanden, wenn auch noch nicht ganz zufrieden war.
    »Nun möchte ich dich fragen, Mette: Warum hast du meinem Wunsch nach einem Besuch so ungewöhnlich, geradezu unschicklich schnell entsprochen?«
    »Weil ich dich wiedersehen wollte, Augusta.« Sie lächelte, und wenn dieses Wort nur entfernt zu ihr gepaßt hätte, hätte Augusta ihre Miene als verschmitzt bezeichnet. »In unserem Alter ist es angenehm, alte Freundinnen wiederzutreffen, selbst wenn man sie als eine Maus erinnert. Aber ist es nur ein Zufall, daß du ausgerechnet heute kommst, einen Tag, nachdem in unseren Mauern ein Mord geschehen ist?«
    »Und ist es ein Zufall, liebe Mette, daß du just an diesem Tag die Tante eines Scholarchen empfängst, von dem schon die ganze Stadt weiß, daß er einer der ersten am Ort des bösen Geschehens war?«
    Beinahe hätten die beiden alten Damen, in nahezu schwesterlicher Eintracht, zu kichern begonnen. Doch es klopfte heftig, und bevor Mette auch nur ›Herein‹ rufen, geschweige denn ihren majestätischen Dominablick wiederfinden konnte, flog die Tür auf, und eine zierliche, tatsächlich spindeldürre Frau stürzte in den Raum. Ihr altersloses Gesicht war bis auf die hektisch geröteten Wangen blaß wie Kattun nach der zweiten Bleiche. Ihre linke Hand hielt noch den zum schnellen Lauf gerafften rosenholzfarbenen Rock umklammert. Eine wirklich hübsche Farbe, fand Augusta, die die blasse Konventualin allerdings noch blasser erscheinen ließ. Trotz des üppigen Spitzenbesatzes um Ärmel und Dekolleté.
    »Mademoiselle Meyerink.« Die Domina erhob sich, und ganz anders als Augusta erwartet hatte, schritt sie mit beruhigend erhobenen Händen der Konventualin entgegen und berührte freundlich beruhigend deren Schulter.
    »Meine gute Meyerink, ich habe Besuch, das seht Ihr, nicht wahr? Hat es noch ein wenig Zeit, in einer halben Stunde … «
    »Gewiß, Domina van Dorting, verzeiht. Es ist nur, ich habe es wieder gehört. Im Keller. Ich wollte nach der Wäsche sehen, ja, nur nach der Wäsche sehen, Mieke neigt ja bisweilen zur Nachlässigkeit, leider, da habe ich es wieder gehört. Und ich weiß einfach nicht, ob es aus dem Keller kommt, ja, tatsächlich aus dem Keller kommt. Es ist so seltsam, es kommt aus dem Keller und doch nicht, es klingt, als komme es auch von oben.« Ihre Stimme hatte sich zu einem Flüstern gesenkt, sie umklammerte die Hand der Domina, und in ihren Augen brannte Angst. Aber auch noch etwas anderes, Augusta hatte nie eine solche irritierende Mischung aus Angst und freudiger Erregung gesehen.
    »Ich weiß ja«, fuhr Mademoiselle Meyerink nach Luft schnappend fort, »ich soll nicht mehr in den Keller gehen. Ich tu’s auch nicht, denn Ihr habt ja recht, immer höre ich dort solche Geräusche, ich gehe bestimmt nicht wieder hinunter. Aber es war so deutlich , und ich dachte, wenn ich noch einmal hinuntergehe und es sehe , dann glaubt ihr mir.« Mademoiselle Meyerinks Rede hörte sich an wie ein beharrlicher Schluckauf. »Dann glaubt Ihr mir«, wiederholte sie flehend, »dann … «
    »Nun aber Schluß. Wie oft soll ich Euch noch versichern, daß ich Euch glaube. Natürlich hört Ihr da etwas. Ich glaube nur nicht, daß es der selige Dominicus ist, der in unserem Keller Obdach und Erlösung sucht. Der heilige Mann ist längst erlöst und im Himmel bei unserem Herrn. Doch, das ist er, auch wenn er kein Lutheraner, sondern ein treuer Papist war. Ich bin mir ganz sicher, daß die Regeln im Himmel sehr viel milder sind als bei uns auf Erden. Er konnte doch auch nur ein

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