Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
anderen Seite des Durchlasses. Überlebensgroße Wandbilder zeigten Schlachten- und Jagdszenen, in denen die Könige von Peor als unbesiegbare Bezwinger von Mensch und Tier dargestellt wurden. Ihre Waffen waren mit Blattgold belegt, das im einfallenden Sonnenlicht gleißte und glitzerte. Noch ehe ein Staatsgast den Thronsaal betrat, zeigte man ihm hier, wie mächtig das Königreich der hundert Stunden war.
General Natsar hatte es trotzdem erobert.
Offenbar war Komanas Unterwerfung von langer Hand geplant gewesen. Dreizehn Jahre!, erinnerte sich Taramis an die Worte des Hauptmannes. Warum diese Galgenfrist? Hatte Dagonis damals noch etwas gefehlt, um die Eroberung der Welt in Angriff zu nehmen? Das Neschamah vielleicht?
»Beeindruckend, nicht wahr?« Es war die Stimme des Hauptmannes, die Taramis aus den Gedanken riss.
Er blinzelte. »Was?«
»Man fühlt sich ganz klein inmitten der ganzen Pracht.«
»Das ist der Zweck solcher Prunkbauten. Mancher lässt sich sogar vom eigenen Blendwerk täuschen«, entgegnete Taramis. Er machte keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für derlei Augenwischerei. Ihm war die Schlichtheit von Beth Gao tausendmal lieber. Er deutete auf ein zweiflügliges, wohl zwanzig Fuß hohes Portal. Es war geschlossen. Ein Halbkreis aus Palastwachen stand davor. »Geht es dort in den Thronsaal?«
Oban nickte.
Der junge Gardist räusperte sich. »Bitte folgt mir, Herr Adámas.« Er führte den Hauptmann und Taramis zum Portal.
Ein dunkelhäutiger Diener mit weißen Pumphosen, glitzernder Weste und topfartigem Hut mit Goldquaste ließ sich den Namen des Besuchers nennen. Sein abschätziger Blick verriet, was er von dessen ärmlicher Garderobe hielt. Als habe dieser ihn persönlich beleidigt, zeigte er dem vermeintlichen Bauern die kalte Schulter und verschwand im Thronsaal.
Die Riesentür knarrte erneut in den Angeln und der Protokollbeamte kam wieder zum Vorschein. Angesichts der für ihn offenkundigen Erbärmlichkeit des Bittstellers kostete es ihn sichtliche Überwindung, die Contenance zu wahren. »Ihre Königliche Hoheit ist bereit, Euch zu empfangen.« Seine Augen verengten sich. »Falls Ihr die Regeln bei Hofe nicht kennt: Ich rate Euch dringend zu schweigen, bis die Regentin Euch zum Sprechen auffordert.«
Taramis nickte.
Widerwillig ließ der Lakai ihn und Oban ein.
Der quadratische Thronsaal stellte die Vorhalle an Größe und Pracht noch in den Schatten. Er lag unter einer gewaltigen, oben spitz zulaufenden Kuppel, die mit einem künstlichen Himmel aus glitzernden Mosaiken in Blau und Gold verziert war. Wie ein gefrorener Sternenschauer hingen kristallene Ketten herab, die ab und zu leise klimperten, wenn Luft durch die geöffneten Oberfenster strich. Den Boden zierten geschwungene, weiß-grüne Blumenornamente aus Marmor. An zwei Seiten gewährte der Raum etwa siebzig Schritte weit Einblick in die Palastflügel, die hier im rechten Winkel aufeinandertrafen. Schleier aus Staub und Sonnenlicht ließen die Einzelheiten der vergoldeten Stuckverzierungen nur erahnen.
Unübersehbar waren dagegen die Leibwächter, die in noch größerer Zahl den Raum bevölkerten als das Aufgebot in der Vorhalle. Scharfschützen mit Langbogen und Lanzenträger wechselten sich entlang den Wänden ab. Wovor fürchtete sich Lebesi? Waren es nur die üblichen missgünstigen Familienangehörigen, verwirrte Untertanen und andere Attentäter, die jedem Machthaber nach dem Leben trachteten? Oder hatten die jüngsten Erfahrungen mit den Dagonisiern die Regentin so vorsichtig gemacht?
In Begleitung des Protokollbeamten und der Leibwächter näherte sich Taramis dem Thron. Der pumphosige Lakai lief zwei Schritte vor ihm. Dahinter folgten rechts Oban und links der junge Gardist. Taramis, in der Mitte, hatte sich etwas zurückfallen lassen.
Die Regentin saß, die Hände im Schoß verschränkt, auf einem goldenen Thron, der wie ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen geformt war. Ihre Füße ruhten auf den Schwanzfedern des Tieres, dessen Kopf zur Wand in ihrem Rücken blickte. Dahinter musste die Halle des Kronrats liegen.
Der erste Eindruck von Lebesi war der einer Frau voller Widersprüche. Schon ihr Alter zu schätzen, fiel Taramis schwer. Ihre Haut war makellos. Sie mochte fünfunddreißig sein, vielleicht vierzig, doch etwas an ihr wirkte so alterslos wie Aschmur, der Nabel der Welt. Ein langes Gewand aus silbrig glitzerndem Tuch verlieh ihr eine lichte Aura. Es bedeckte zwar ihre Füße, ließ die
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