Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
klang wie eine Grabplatte, die sich über einen Sarkophag schiebt. »Wer seid Ihr wirklich, Adámas?«
»Mein Vater nannte mich Taramis«, antwortete er leise. »Ich bin …«
»… der Tempelwächter aus Jâr’en? Der Held zahlloser Lieder und schmachtender junger Dinger?«, fiel sie ihm überrascht ins Wort. »Gaal behauptete, er habe alle Zeridianer der Heiligen Insel getötet oder verschleppt. Euch hat er dabei sogar namentlich erwähnt.«
»Ein paar von uns konnten entkommen«, murmelte Taramis, während er im Geiste das gerade Gehörte mit den Erlebnissen der letzten Wochen in Einklang zu bringen suchte. Er war Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Herrscher von Dagonis und Lebesi gewesen? Dann hatte Natsar wohl im Anschluss an das Verhör im Turm von Zin die Strafinsel verlassen, um seinem Monarchen von der Niederwerfung Jâr’ens zu berichten und ihn nach Peor zu begleiten. Somit könnte der General tatsächlich Asor persönlich zum Mord an Enak angestiftet oder sogar selbst an dem Massaker teilgenommen haben.
»Was wisst Ihr über Eli?« Es war der Oberpriester, der Taramis aus den Gedanken riss. Bis zu diesem Moment hatte Eglon die Unterhaltung mit ausdrucksloser Miene verfolgt. Jetzt beugte er sich vor und seine prankenartigen Hände krallten sich um die Stuhllehnen.
»Er und seine jüngere Tochter wurden von den Kirries entführt, die mit den Dagonisiern gemeinsame Sache machen. Die vereinten Heere der Zwerge und Feuermenschen konnten die Tempelgarde von Jâr’en nur bezwingen, weil ein Verräter ihnen die Tore geöffnet hatte. Ein Mann mit vielen Gesichtern. Derselbe, der Fürst Enak tötete. Er hat auch Xydia ermordet, die ältere Tochter des Hohepriesters.« Und meine Mutter, fügte Taramis im Stillen hinzu.
Eglons Kopf fuhr zur Regentin herum.
Lebesi erhob sich langsam von ihrem Thron. Ihre blauen Augen funkelten wie Gletschereis. »Wir spüren Euren Zorn, junger Krieger. Warum seid Ihr hier?«
»Weil die freien Völker von Berith Hoffnung brauchen. Die Heere von Dagonis breiten sich wie eine Plage über die Inseln der Welt aus. Mit ihren Waffen aus Eisen und Geist scheinen die Feuermenschen unbesiegbar zu sein. Ihre Grausamkeit raubt den Menschen den Mut. Ich bin ausgezogen, um den Hohepriester und seine Tochter zu finden. Wenn Eli nach Jâr’en zurückkehrt, werden die Völker von Berith erkennen, dass Gao mit den Tapferen ist. Sie werden neuen Mut schöpfen und die Fischköpfe dahin zurückjagen, wo sie hergekommen sind.«
Lebesi trat auf Taramis zu und begann ihn zu umschleichen wie eine Raubkatze. Stocksteif blieb er stehen, nur seine Augen folgten ihr. Alles an dieser Frau war irritierend: das unnatürliche Weiß ihrer pfirsichzarten Haut, das Rascheln des silberdurchwirkten Gewandes und vor allem dieser schwere, die Sinne betäubende Duft. Als beider Blicke sich begegneten, fröstelte ihn. Ihre Miene zeigte keinerlei Regung. Wie hinter einer Maske hörte er sie sagen: »Ihr lügt, junger Krieger.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Was ich sage, ist die Wahrheit.«
Ein unheimlich anmutendes Lächeln kroch über ihr eisig schönes Gesicht. »Habt Ihr die Leute nie sagen hören, Lebesi sei eine Hexe? Uns könnt Ihr nichts vormachen. Euer Edelmut ist nur vorgetäuscht. Mag sein, dass Ihr Euch damit sogar selbst betrügt. In Wahrheit treibt Euch etwas ganz anderes an: Rache!« Sie hauchte ihm das Wort direkt ins Ohr.
Obwohl ihr Atem heiß war, bekam er eine Gänsehaut. Was hatte Oban über sie gesagt? Lebesi sei eine gefährliche Frau, die man nicht ungestraft hintergehen könne. Taramis meinte, jeden Moment zu zerplatzen, sollte er noch länger ihre Nähe ertragen müssen. Mit einem großen Schritt wich er vor ihr zurück und rammte den Stab auf den Boden. Feine Risse bildeten sich im Marmor.
Ringsum klapperten Waffen. Auch ohne sich umzusehen, wusste Taramis, dass sämtliche Bogenschützen und Lanzenträger im Thronsaal auf ihn zielten. Der junge Gardist zur Linken hatte sein Schwert zur Hälfte aus der Scheide gezogen. Nur Hauptmann Oban verharrte völlig reglos.
Lebesi schien ihre Wirkung auf den jungen Tempelwächter zu genießen. Sie wirkte belustigt. »Wann stellt Ihr Uns endlich die Frage, um die sich hier alles dreht?«
Sie hatte recht. Er benetzte seine Lippen mit der Zunge. »Wer ist Asor und wo finde ich ihn?«
Sie nickte wissend. »Endlich sagt Ihr, was Euch bewegt. Ist es das Mädchen? Wie hieß sie doch gleich? Xydia? Wollt Ihr sie rächen? War sie Eure
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