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Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt

Titel: Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Schultern und Arme aber frei. Ihr hoch aufgetürmtes Haar schimmerte seidig schwarz, die Haut weiß wie Schnee an einem sonnigen Wintertag. Man nannte sie die Hexe von Peor, doch sie bezauberte zuallererst durch ihre eisige Schönheit. Ihr Gesicht wirkte mit seinen vorspringenden Wangenknochen und dem spitzen Kinn hart und weich zugleich. Die blauen Augen blickten so unnachgiebig und feurig wie Diamanten.
    Rechts von Lebesi stand ein leerer Stuhl mit leuchtend rotem Samtpolster. Zu ihrer Linken saß ein ziegenbärtiger Kahlkopf, dessen langes Leinengewand ihn als Priester Gaos auswies. Der Götzenkult hatte den Palast also noch nicht verseucht. Offenbar diente der heilige Mann Lebesi als Ratgeber. Er war, soweit sich dies erkennen ließ, mit einer hünenhaften Statur gesegnet.
    Unvermittelt bewegte sich etwas hinter dem Rücken der Regentin. Zwischen den aufragenden Adlerflügeln schob sich ein rundes Gesicht mit ausgeprägten Hängebacken hervor. Als der heimliche Beobachter sich von Taramis ertappt sah, zog er sich schnell wieder in die Deckung zurück. Das musste Kronprinz Og sein. Wenigstens körperlich schien der zukünftige König von Komana ein Schwergewicht zu sein, ob dies auf seinen Geist ebenso zutraf, war angesichts des kindischen Versteckspiels zumindest fraglich.
    Etwa fünfzehn Schritte vor dem Adlerthron blieb die Eskorte stehen. Der dunkelhäutige Höfling verneigte sich tief und die anderen folgten seinem Beispiel. »Der Gesandte Adámas, Eure Königliche Hoheit.«
    »Danke«, erwiderte die Regentin förmlich. Sie ließ in diesem einen Wort mehr Autorität mitschwingen, als Taramis je bei einer Frau verspürt hatte. Ihre raue Stimme klang kühl wie harschiger Schnee.
    Der Diener verneigte sich abermals und entfernte sich rückwärts in Richtung Vorhalle.
    »Tretet näher, Adámas«, rief Lebesi und winkte den Besucher heran.
    Taramis halbierte die Distanz zum Thron. Aus den Augenwinkeln beobachtete er seine beiden Aufpasser, die ihm nicht von der Seite wichen. Die Luft schien zu knistern wie nach einem Blitzeinschlag. War die Audienz nur eine Falle? Innerlich wappnete er sich gegen Angriffe mit den Waffen des Geistes.
    Die Regentin taxierte ihn eingehend. Dann lächelte sie kühl. »Üblicherweise empfangen Wir keine Bauern. Uns wurde allerdings versichert, Euer Äußeres diene nur der Tarnung, weil Ihr Uns eine sehr wichtige und geheime Botschaft bringt.«
    War das nun eine Aufforderung zum Reden? Taramis breitete die Arme aus. »Kleider sind dazu da, die Augen zu betrügen, Königliche Hoheit. Deshalb erkennen die Blinden den wahren Wert eines Menschen schneller als jeder Sehende. Doch wenn mein Anblick Euch beleidigt haben sollte, so bitte ich um Vergebung.« Er rief sich das Bild der Höflinge und Bittsteller aus der Vorhalle in den Sinn. Gedankenschnell stellte er ein paar edle Kleidungsstücke zusammen und gaukelte sie sich auf den Leib. »Ist es so besser, Königliche Hoheit?«
    Laute des Erstaunens hallten durch den Saal.
    Lebesi schmunzelte nur, doch zum ersten Mal wirkte ihr Gesicht dabei nicht kühl und distanziert. »Ihr habt Mut, Adámas, Ihr seid ein Begabter, und obendrein scheint Ihr für einen jungen Mann auch noch weise zu sein.«
    »Ich hatte einen weisen Lehrer, Königliche Hoheit.«
    »Kennen Wir seinen Namen?«
    »Das vermute ich. Er und Euer Ratsherr Enak waren Waffenbrüder. Mein Meister bedauert, dass der Fürst Euch nicht länger mit seinem Rat zur Seite stehen kann.«
    Lebesis dunkle Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was redet Ihr da? Warum sollte Fürst Enak Uns nicht mehr dienen? Wir schätzen seine Weitsicht kaum minder als die Unseres weisen Eglon.« Ihre Linke deutete zu dem ziegenbärtigen Kahlkopf.
    Taramis Blick wanderte zu dem Ratgeber.
    »Ihr könnt frei sprechen«, erklärte die Regentin. »Eglon ist der Oberpriester von Komana. Ein wahrer Heiliger.«
    »In der Angelegenheit, die mich zu Euch führt, kommt es vor allem auf Verschwiegenheit an, Königliche Hoheit.«
    »Er genießt Unser absolutes Vertrauen.«
    »Gilt das auch für den Knaben, der sich im Schatten Eures Thrones verbirgt?«
    Lebesi stieß einen gicksenden Laut aus und verdrehte die Augen. »Dich hätte ich fast vergessen, Og. Benimm dich wie ein Mann und komm sofort heraus.«
    Der Gerufene trat mit gesenktem Blick hinter dem Thron hervor und schlich sich an die Seite seiner Mutter. Er war nur ungefähr fünf Fuß groß, trug Sandalen und eine goldbestickte Tunika, die eine Handbreit über den

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