Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Insel Malon sucht. Möglicherweise kann ich Euch dabei helfen, sie zu finden.« Ängstlich sah er sich um.
Taramis’ Rücken überzog ein Schauder. Was für ein verrückter Tag! Unwillkürlich suchte er im Blickkontakt den moralischen Beistand seines Lehrers, denn immerhin beabsichtigte Tagor, einen Treuebruch an seinem Herrn zu begehen. Marnas Miene verriet weder Zustimmung noch Ablehnung.
Heiligt der Zweck die Mittel? Darf man die Hilfe eines Verräters annehmen?, fragte sich Taramis. Er musste an Eli und Shúria denken. Wäre es denn richtig, sie im Stich zu lassen, nur weil der entscheidende Hinweis von einem gewissenlosen Mann kam? Er legte Tagor die Hand auf die Schulter.
»Lasst uns anderswohin gehen, wo wir ungestört sprechen können.«
Jagurs Diener brachte die Zeridianer zu einem »verschwiegenen Plätzchen«, wie er es nannte. Dabei handelte es sich um einen hügeligen Stadtgarten, in dem Olivenbäume und Kalkfelsen um den knappen Platz wetteiferten. Die Bewohner von Dunis hatten ins gelblich weiße Gestein zahlreiche Kammern getrieben, deren Zugänge größtenteils mit mannshohen Steinscheiben verschlossen waren.
Der Garten war ein Friedhof.
Tagor führte seine Begleiter durch eine kreisrunde Öffnung in ein frisch angelegtes, noch unbenutztes Gewölbe. Seine nackten Füße wirbelten feinen weißen Staub auf, der im gleißenden Sonnenlicht wie Nebel aussah. Taramis zählte sechs Alkoven, die Platz für mindestens ein Dutzend Leichname boten. Ein Familiengrab.
Er musste an Peor denken, an die toten Gefährten. Die unterschwellige Befürchtung, dass ihnen hier Gleiches widerfahren könne, schlug sich in seiner Stimme nieder. Sie klang hart und fordernd. »Warum wolltet Ihr uns sprechen, Tagor?«
»Um der Gerechtigkeit willen.«
»Ach was!«
Der Kleine nickte mit wichtiger Miene. »Meine Leute haben einen schändlichen Frevel an Gaos Haus und dem Garten der Seelen begangen. Tapfere Männer der Tempelgarde mussten ihr Leben lassen, weil König Dov mit den Dagonisiern ein unsägliches Bündnis geschlossen hat. Ich möchte etwas von der Schuld abtragen, die das Volk der Kirries auf sich geladen hat. Die Schande zerfrisst sonst …«
»Ginge es Euch um Gerechtigkeit und Schande, würdet Ihr nicht Euren Herrn verraten«, fiel Taramis ihm ins Wort. Er würde vorsichtig sein müssen. Der Kirrie schien weniger kleingeistig zu sein, als Jagur behauptet hatte. »Was wollt Ihr wirklich, Tagor?«
Der Gefragte rieb sich die Knollennase. »Wie wäre es mit … sagen wir, eintausend Goldstücken?«
»Die müsste ich erst besorgen.«
»Einverstanden. Ich begleite Euch. Nur, damit Ihr mich nicht vergesst. Habt Ihr einen Donnerkeil mit einer Kiemenkapsel?«
»Eine Drachenkröte.«
»Auch gut. Verlieren wir keine Zeit. Jagur wird mich bald suchen. Er kann recht ungemütlich werden, wenn man ihn gegen den Strich bürstet.«
»Dann habt Ihr mich noch nicht kennengelernt. Solltet Ihr uns zu hintergehen versuchen, würde mein Stab Euch schneller ins Haus der Toten schicken als Ihr Kss-kss machen könnt.«
»Als Kerkermeister von Karka war ich zwanzig Jahre lang lebendig begraben«, lachte Tagor und kehrte durch die runde Öffnung in den sonnigen Olivenhain zurück. »Das Haus der Toten kann mich nicht schrecken.«
Als Taramis hinter ihm ins Freie trat, sah er sich überraschend einer Trauergemeinde mit einem in Binden gewickelten Leichnam gegenüber. Die Leute starrten die dem Grab Entstiegenen entgeistert an.
Abstieg
O bwohl Tagor unentwegt beteuerte, für dieselbe gerechte Sache zu kämpfen wie die Zeridianer, hielt Taramis ihn für einen gewissenlosen Aasgeier. Allon teilte die Antipathie seines Herrn gegen den Kirrie. Als sich Jagurs Diener anschickte, zur Erkundung der Gegend von der Drachenkröte auf das Mamogh überzuwechseln, wäre er um ein Haar gefressen worden. Notgedrungen mussten sich die Jäger aus Zeridia mit beiden Tieren in die lebende Wolke wagen.
Malon, das Herzland der Kirries, verbarg sich nämlich in einem Schwarm aus Abermilliarden winziger Qicks. Die Quallentiere verhielten sich, als seien sie ein einziger gigantischer Organismus: Gleichzeitig veränderten sie ihre Form, attackierten Feinde und trieben ihr Spiel mit dem Licht. Die fast durchsichtigen, gallertartigen Körper der Qicks schlossen sich gleichsam zu einer riesigen Leinwand zusammen, auf die sie ihre Trugbilder malten. Sie bevorzugten Landschaftsmotive. Meist sah man nur die Sterne von Belimáh, dem luftleeren Raum
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