Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
zur Tür. Eli war aus dem Stuhl hochgefahren. »Taramis!«, riefen beide wie aus einem Mund. Die Tochter des Hohepriesters lief auf ihren alten Freund zu, fiel ihm um den Hals und drückte ihre Wange an die seine. Ihr Vater wurde von den anderen Gefährten umringt.
»Ich wusste, dass du uns nicht im Stich lässt«, behauptete Shúria. Ihre rauchige Stimme war der ihrer toten Schwester ebenfalls sehr ähnlich geworden.
»Du wusstest es?«, wiederholte er überrascht. »Hat Gao dir einen Traum gesandt?«
»Nein. Ich habe es in meinem Herzen gefühlt«, antwortete sie glücklich.
Taramis entsann sich einer Bemerkung seines Gefährten Veridas. Auf Zin hatte der Seher erwähnt, dass Shúria seine Schülerin gewesen sei. Das Mädchen schwärmte so glühend von dir, als sei es selbst in dich verschossen .
Mit einem Mal schlug ihre übermütige Freude in Verzweiflung um. »Es tut mir so leid, Taramis. Ich hätte sterben sollen und nicht Xydia. Ihr zwei habt euch geliebt und …« Sie schüttelte den Kopf und schluchzte.
»Dich trifft keine Schuld«, sagte er mit brüchiger Stimme. Er rang selbst um seine Fassung.
Mit einem Mal konnte er es nicht länger ertragen, das Mädchen in den Armen zu halten. Alles an ihm, sogar der Geruch, erinnerte ihn an Xydia. Er fühlte sich auf qualvolle Weise an den Tag zurückversetzt, als er sie in Beth Gao entdeckt und ihren leblosen Körper an sich gedrückt hatte. Behutsam löste er sich aus Shúrias Umklammerung. Ihrem fragenden Blick wich er verlegen aus, ging zum Hohepriester und beugte vor ihm das Knie.
»Ich bin überglücklich, Euch wohlbehalten wiederzusehen, mein Herr.«
Eli bückte sich, half Taramis auf und nahm sodann dessen Hände. »Shúria hat tatsächlich keinen Tag verstreichen lassen, ohne von dir zu reden. Ich glaube, Gao hat es ihr ins Herz gelegt. Dadurch hatten wir immer ein Licht der Hoffnung in diesem finsteren Kerker. Heute ist ein Freudentag, weil der Allmächtige uns durch dich und deine Gefährten Rettung widerfahren lässt. Sosehr ich euch dafür danke, drängt es mich doch, dir eine Frage zu stellen. Die Antwort könnte, dessen bin ich mir bewusst, meine Freude trüben. Hast du auf Zeridia Neues über meinen Sohn erfahren?«
Taramis senkte den Blick und holte tief Luft, ehe er Eli fest in die Augen sah. »Sein Schicksal ist nach wie vor ungewiss, Herr. Ich habe das Phantom gefunden und getötet. Es war ein Seelenfresser namens Gulloth, ein Antisch im Körper eines Wolfsdrachen. Von Lauris fehlt jede Spur. Ich fürchte, wir werden ihn nie wiedersehen.«
Eli nickte betrübt. »Kinder sollten um ihre Eltern trauern, nicht umgekehrt.«
»Verzeiht, mein Herr«, sagte Marnas, »aber es wird Zeit aufzubrechen. Hier sind wir nicht sicher. Tagor hat uns vor den stündlichen Kontrollgängen gewarnt.«
»Du meinst Tagor, den Kirrie?«, fragte der Hohepriester. Seine Augen suchten nach dem ehemaligen Kerkermeister.
Tagor hatte sich im Hintergrund herumgedrückt. Nun traten die Gefährten auseinander, damit Eli ihn sehen konnte. Der Malonäer verneigte sich. »Mein Herr. Ich hätte nie zu hoffen gewagt, Euch jemals von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.«
»Zu passender Zeit werde ich Euch angemessen danken, mein Freund«, sagte der Priester. »Jetzt wollen wir auf Marnas hören. Immer wenn draußen die Lichtsteine neu entfacht werden, schaut der Kerkermeister oder einer seiner Gehilfen bei uns herein. Es müsste bald wieder so weit sein.« Eli wollte sich schon der Tür zuwenden, doch Marnas ergriff noch einmal das Wort.
»Übrigens, mein Herr, nicht ich führe unsere Gruppe an, sondern Taramis. Nach der Niederlage auf der Heiligen Insel habe ich das Kommando an ihn abgetreten.«
Der Hohepriester nickte ernst und musterte den jungen Mann, der ebenso sein Schüler war wie der des Hüters von Jâr’en. »Der Speer Jeschuruns offenbart sich also endlich. Ich hatte mich schon gefragt, ob ich das noch erlebe.«
Taramis bekam eine Gänsehaut. Er hätte das Thema gerne vertieft, doch dafür war nun wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt. Ohne weiter auf die merkwürdige Äußerung des Alten einzugehen, teilte er seine Männer ein und gab einige knappe Anweisungen. Er führte den Zug wie gehabt mit Tagor an. Den eigentlichen Schutz für Eli und Shúria würden vorne Marnas und Masor sowie hinten Pyron und Zur übernehmen. Die Nachhut beließ er in der Zuständigkeit von Gabbar, der es jederzeit mit mehreren Angreifern aufnehmen konnte.
Auf demselben
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