Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Schild und Schwert trat Taramis vor ebenjenes Tor, das Bochim fast zwei Monate zuvor den vereinten Heeren von Dagonis und Malon geöffnet hatte. Seine Gefährten bildeten hinter ihm einen Halbkreis. Jeder hatte seinen Sinn geschärft wie eine Streitaxt, um ihrem Anführer nötigenfalls den Rücken zu stärken.
»Ihr habt gesehen, wozu wir imstande sind. Ich bin gekommen, um Eure Kapitulation zu fordern«, rief Taramis zu den Zinnen hinauf.
Niemand antwortete ihm.
Auf dem linken Torturm begann ein Antisch zu schreien. Er stand lichterloh in Flammen. Zuerst fiel ihm seine Armbrust aus den Händen, dann stürzte er selbst herab. Nur wenige Schritte von den Zeridianern krachte er zu Boden.
»Ich kann den Geruch von angebrannten Fischköpfen nicht ausstehen«, schnaubte Zur. »Könntest du ihn bitte löschen, Pyron?«
»Der Kerl hat Taramis aufs Korn genommen«, verteidigte sich der Feuerbändiger.
Der tote Antisch hörte auf zu brennen.
»Danke«, sagte Taramis leise. Dann straffte er die Schultern und rief: »Wer ist der Befehlshaber Eurer Garnison?«
Anstatt zu antworten, fiel abermals ein dagonisischer Soldat von der Mauer. Wie eine Puppe trudelte er durch die Luft, landete auf dem Rücken und regte sich nicht mehr.
»Das war ich nicht«, beteuerte Pyron.
Taramis drehte sich zu Gabbar um. »Hast du ihm das Genick gebrochen?«
»Ich? Wie kommst du darauf?«
»Muss ich wirklich antworten?«
Marnas deutete vage auf die Leiche. »Der Fischkopf ist einfach zusammengebrochen und herabgefallen. Ich hatte ihn gerade beobachtet, als er plötzlich die Augen verdrehte und vornüberkippte.«
»Seltsam. Was hat das zu bedeuten?«
»Keine Ahnung. Aber du solltest deine Verwirrung nicht so offen zur Schau tragen. Zeig Stärke!«
Taramis wandte sich wieder der Mauer zu, hob die Hand mit dem Feuerstab und schmetterte: »Was ist, Söhne Dagons? Muss erst Har-Abbirím eure Seelenbäume ausreißen?«
Ein Raunen ging durch die Reihen der Dagonisier.
»Wie wollt Ihr wissen, ob Ihr Euch damit nicht selbst umbringt?«, rief hinter dem Tor plötzlich eine näselnde Stimme. Ihr fehlte die kehlige Aussprache der Antische. Sie kam Taramis bekannt vor.
»Eglon?«, murmelte er.
Vom Tor ertönte ein Rumpeln, das niemand besser zu deuten wusste als die Tempelwächter. Die großen Riegel wurden zurückgeschoben.
»Bleibt auf der Hut«, warnte Taramis seine Gefährten.
Der linke Flügel des Tores schwang knarrend auf, gerade weit genug, um einen einzelnen Mann von schwerer Statur durchzulassen. Er trug ein weißes, langes Gewand mit breiter Bauchbinde. Es war tatsächlich Eglon, der oberste Priester Gaos von Komana. Mit großen Schritten und einem gehetzten Ausdruck auf dem Gesicht näherte er sich den Zeridianern. Drei oder vier Mannlängen vor ihnen blieb er stehen.
»Seid Ihr tatsächlich der Mann, für den ich Euch halten soll, oder nur ein Seelenfresser, der Eglon getötet hat?«
»Ich bin der Priester des Allmächtigen«, antwortete der Gefragte. Er klang nervös. Sein Blick sprang unruhig hin und her, als rechne er mit einem Hinterhalt.
»Was hat König Gaal Euch geboten, dass Ihr zu ihm übergelaufen seid?«
»Er lässt mich hier meinen heiligen Dienst verrichten. Was kann ein gehorsamer Diener des Herrn der Himmlischen Lichter sich Erhabeneres wünschen, als auf dem goldenen Altar von Beth Gao zu opfern?«
»Gehorsam? Dass ich nicht lache! Gaal betet einen Fischgötzen an. Er hat diese Stätte entweiht.« Taramis fragte sich, was mit Eglon geschehen war. Irgendwie wirkte er verändert auf ihn. Nicht wirklich menschlich. Hatten die Fischköpfe seinen Willen gebrochen oder ihn sonst wie manipuliert? Das Beste würde sein, sich auf kein langes Gespräch mit dem verräterischen Priester einzulassen, sondern den Druck zu erhöhen. Taramis deutete mit dem Stab auf Mobula. »Wenn das Ungetüm nicht eure Seelenbäume umknicken soll, dann zieht auf der Stelle mit Eurer Garnison ab.«
»Ich glaube nicht, dass Ihr unsere Seelenbänder aufspüren könnt, Taramis. Und wenn Ihr das nicht vermögt, findet Ihr auch nicht unsere Bäume.« Eglon klang so kalt wie ein Eisblock.
»Da mögt Ihr wohl recht haben. Deshalb hielt ich es für angebracht, den Hohepriester mitzubringen. Ein Zeichen von mir und er wird Mobula zur Ernte in den Garten der Seelen schicken.«
»Eli ist in den Händen der Kirries.«
»Nein, ist er nicht«, rief unvermittelt die Stimme des Hohepriesters.
Taramis fuhr erschrocken herum. »Das gibt’s doch
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