Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Eure Krieger unter der Säule des Bundes freigelegt haben: ›Speer Jeschuruns, Im Berg der Engel glimmt dein Licht.‹«
»Dagonis gibt dir Gleichgewicht«, setzte Gaal hinzu. »Wenn du schon die Prophezeiung anführst, dann solltest du das Wichtigste nicht verschweigen. Ob Berith aus den Fugen gerät oder ewig Bestand haben wird, hängt von meinem Reich ab.« Trotzig schickte er einen weiteren Pfeil ins Blätterwerk und lauschte. Als niemand im näheren Umkreis starb, zuckte er die Achseln. »Man kann nicht immer Glück haben.«
Taramis’ Magen verkrampfte sich. Ihm kam es so vor, als ziele ein lausiger Schütze unentwegt auf Shúria, ihren Vater oder seine Freunde. Je mehr Pfeile er verschoss, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass einer sie tötete. Taramis packte der Zorn. Er warf den Stab hoch und fing ihn über der Schulter auf wie einen wurfbereiten Speer. Seine Stimme wurde hart wie Diamant. »Weg mit dem Bogen, Gaal! Bei Eurem Glück werdet Ihr Euch noch selbst richten.«
»Sollte es mich treffen, dann komme ich wieder – auf dem Weg der Unsterblichkeit. Doch wenn das Schicksal dich auswählt, wirst du ein für alle Mal tot sein«, erwiderte der König spöttisch und verschoss den nächsten Pfeil. Auch diesmal blieb es still in der Runde. Er zog den Mund schief. »Getroffen habe ich trotzdem. Irgendwo in Berith ist gerade einer umgefallen, stirbt qualvoll und versteht die Welt nicht mehr.«
Gaal verstummte, als er jäh von seinem Gegenüber attackiert wurde. Offenbar hatte er damit gerechnet, denn mit der für Antische üblichen Schnelligkeit ließ er den Bogen fallen, riss sein Schwert aus der Scheide und parierte den Hieb, den Taramis mit Ez ausführte. Einen Moment lang kamen sich die Gesichter der beiden ganz nahe, als sich ihre Waffen aneinander rieben.
»Sicher bedauert Ihr, dass Lebesi Euch gerupft hat«, knirschte Taramis.
Der König grinste. »Endlich lässt du deinen Gefühlen freien Lauf. Gut so, junger Nebelwächter! Ich habe mich lange auf diesen Augenblick gefreut.«
Er drehte das Schwert herum, um die Deckung des Gegners zu durchbrechen. Taramis parierte den Hieb mit dem Schild, wirbelte den Stab herum und traf Gaal zwischen die Beine. Die Finte gehörte zu seinem Standardrepertoire, ließ die erhoffte Wirkung jedoch missen. Sollten Antische in der betreffenden Körperregion über hinreichend sensible Weichteile verfügen, hatte Gaal sie offenbar gut geschützt. Überhaupt war sein zweifelhaftes Benehmen wohl eher vorgetäuscht als vom Wahnsinn getrieben. Es schien, als habe er den Kampf gegen Ez vorausgesehen und sich dagegen gewappnet. Nur Hals und Kopf ragten aus der Panzerung heraus.
Taramis ging wieder auf Abstand.
»Das war nur eine Warnung«, behauptete Gaal. »Du kannst mich nicht besiegen. Ich wiederhole jedoch mein Angebot: Kämpfe mit mir Schulter an Schulter für die Neuordnung der Welt. Zum Lohn gebe ich dir jedes Königreich, um das du mich bittest – mit Ausnahme von Dagonis. Wie wäre es mit Komana? Dort ist gerade eine Regentin abgetreten.«
»Ihr meint, Ihr habt die Mutter Eures Sohnes Reghosch ermordet! «, rief Taramis so laut, dass alle es hörten.
Die Reaktion des Königs war einmal mehr überraschend. Er drehte sich um und rannte auf seine Männer zu. Die Antische spritzten förmlich auseinander. Gaal stürmte in die sich bildende Gasse und bohrte sein Schwert in den nächstbesten Baum.
»Hört sofort auf oder Ihr bekommt das Feuer meines Stabes zu spüren«, brüllte Taramis und eilte dem Antisch hinterher. Die dagonisischen Soldaten wagten nicht, ihn anzugreifen, sei es aus Respekt vor dem König oder wegen Ez, dem niemand zu nahe kommen wollte.
Gaal scherte sich nicht um die Drohungen des Nebelwächters, rannte im Zickzack zwischen den Bäumen hindurch und stach immer wieder wahllos auf einzelne Stämme ein.
Erneut hallte ein Schrei durch den Wald. Diesmal aus der Kehle eines Zeridianers.
»Heute ist mein Glückstag«, jubilierte Gaal. Er drehte sich nach seinem Verfolger um.
Wie die meisten Jäger von Zeridia war auch Taramis ein guter Läufer, doch mit dem riesigen Antisch Schritt zu halten, fiel selbst ihm nicht leicht. Hilflos musste er mit ansehen, wie das gestreifte Scheusal einen Seelenbaum nach dem anderen attackierte. Zugleich verlieh ihm die Angst um Shúria ungeahnte Kräfte. Xydia hätte gewollt, dass er ihre kleine Schwester und ihren Vater beschützte. Wenn einer von ihnen bei diesem sinnlosen Gemetzel starb, könnte er sich
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