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Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt

Titel: Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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drückte wortlos seine Hand, kurz und sehr fest. Hierauf erschlaffte der Griff, und ein langer Atemzug entströmte ihrer einsinkenden Brust.
    »Mutter?«
    Lasia antwortete nicht.
    »Mutter!«, brach es aus ihm hervor. Sein Herz schien sich in einen Stein zu verwandeln, als ihm die schreckliche Wahrheit bewusst wurde. Die Frau, der er sein Leben verdankte, hatte das ihre ausgehaucht.
    Vermutlich war Taramis der Einzige im Raum, den Lasias Tod überraschte. Er starrte ungläubig in ihr friedliches Gesicht und meinte, sie müsse ihn im nächsten Moment wieder ansehen und weitersprechen.
    Allmählich mischten sich andere Empfindungen unter die Benommenheit: das Gefühl eines unwiederbringlichen Verlustes und abgrundtiefe Trauer. Der Schmerz war anders als bei Xydia, aber nicht minder qualvoll. Für sie hatte er noch weinen können, nun waren seine Tränen im Seelenfeuer restlos verdampft.
    Dann schlug sein Kummer in Zorn um. Zorn auf den Mörder mit dem Feuerfischschwert. Zorn auf die Dagonisier. Zorn auf den Silbermantel und seine Kirries. Der Überfall dieser unheiligen Allianz auf die Insel Jâr’en hatte die beiden Menschen getötet, die er am meisten liebte. Das war mehr, als dem tapfersten Mann zugemutet werden sollte.
    Taramis ließ seine tote Mutter in das Lager aus Tüchern zurücksinken und erhob sich.
    »Was hast du vor?«, fragte Naría. Sie wirkte so erschrocken, als sähe sie in seinen Augen Flammen lodern.
    »Bitte tut, was ich Euch sage«, antwortete er tonlos. »Schließt hinter mir die Tür. Ich komme nicht zurück.«
    Er wandte sich von ihr ab und verließ die Höhle. Zwar hörte er, wie sie ihm folgte, doch er drehte sich nicht mehr um. Mit seinen langen Beinen eilte er durch den Tunnel voraus bis zu Xydia. Zwei, drei heftige Herzschläge lang kauerte er neben ihr und streichelte ein allerletztes Mal die zarte Wange, die er viel zu selten geküsst hatte. »Lebe wohl, meine Liebste«, flüsterte er. »Ich ziehe aus, um deinen Mörder zu finden und ich schwöre dir, ich werde ihn zur Strecke bringen.«
    Danach folgte sein Körper der Choreografie des Krieges, die ihm durch unzählige Übungen und nicht wenige Einsätze in Fleisch und Blut übergegangen war. Er schnallte das Schwert um, schob den linken Arm in die Schildschlaufen und ergriff mit der Rechten den Stab Ez.
    »Das ist Wahnsinn, Taramis!«, hörte er Naría hinter sich rufen. »Du kannst nicht allein eine ganze Armee besiegen. Das hätte weder deine Mutter noch Xydia gewollt.«
    Ihre Vernunftworte erreichten zwar sein Ohr, nicht aber den Verstand. Den hatte ein Erdrutsch aus bitteren Gefühlen zugeschüttet.
    Am oberen Ende der Treppe betätigte er den Mechanismus, der die Geheimtür entriegelte. Wassergefüllte Ballasttanks zogen sie aus ihrer Verankerung. Sobald sie geöffnet war, stürmte Taramis hinaus ins Allerheiligste.
    Das Geviert mit dem größten Goldblock Beriths lag verlassen vor ihm. Entweder hatten die Antische die Suche nach ihm aufgegeben oder …
    Er hörte Stimmen. Sie kamen von der anderen Seite der hölzernen Trennwand. Die kehligen Laute waren unverkennbar. Im Heiligen hielten sich nach wie vor Dagonisier auf.
    Ein letztes Überbleibsel von Besonnenheit und die Rücksicht auf seine Gefährten in den geheimen Kammern zwangen ihn, am Vorhang kurz innezuhalten. Durch einen Schlitz spähte er in das größere der beiden Tempelabteile. Sollte er dort den Mörder mit dem Fischkopfschwert sehen, dann würde es für ihn kein Halten mehr geben.
    Seine Hoffnung wurde enttäuscht. In der Halle wimmelte es nur so von Feuermenschen. Ihre Rüstungen bestanden aus Panzerplatten: oben ein Wams, unten ein kurzer Schurz, der über den Knien endete. Die Arme waren bis zu den Ellenbogen geschützt. Zwischen den Harnischen und den runden Helmen, die wie Kochtöpfe aussahen, entfaltete sich die ganze Ambivalenz der antischen Physiognomie.
    Allen Individuen gemein waren seltsame Tast- oder Riechorgane über den Glubschaugen, die den Antennen mancher Motten glichen – man hätte sie leicht für Blätter auf dünnen Zweigen halten können. Die Gesichter auf den Stachelkragen standen in ihrer Vielfältigkeit denen von Zeridianern, Ganesen oder Kirries in nichts nach.
    Kaum weniger mannigfaltig erwies sich die Zeichnung ihrer Haut. Es hieß, sie sei bei jedem Antisch einzigartig. Die wie mit zittriger Hand aufgetragenen Streifen waren mal blasser, dann wieder kräftiger, oft bräunlich oder rot und manchmal sogar leuchtend blau, gelb oder in

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