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Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt

Titel: Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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schwang er sich zu dem Griff hinüber und zog sich daran hoch. Von da an kam er besser voran. Kurz darauf kauerte er in der Mulde, die der von ihm losgerissene Stein hinterlassen hatte.
    Keuchend rang er nach Atem. Ob das Gepolter bis zu den Wachttürmen hinübergedrungen war? In seinem Kopf drehte sich alles. Was war da eben geschehen? Hatte er, beflügelt von Wut und Furcht, allein durch das Fernwirken den massiven Felsen bewegt? Möglicherweise wäre der Brocken ohnehin bald abgegangen – die Erosion veränderte hier ständig die Landschaft. Oder hatte Marnas recht und in ihm schlummerte tatsächlich ein mächtiger Geist?
    Er schüttelte ärgerlich den Kopf. Darüber konnte er später nachgrübeln, jetzt musste er sich beeilen.
    Die kurze Verschnaufpause hatte ihm gut getan. Ohne nennenswerte Schwierigkeiten erklomm er die Wand oberhalb der Mulde. Als er sich über den Rand der Grube schob, hörte er das Klappern von Rüstungen. Vom Lager her näherten sich zwei Fackeln. Also war der Abgang des Felsens doch nicht unbemerkt geblieben.
    Er stemmte sich rasch hoch und lief geduckt in Richtung der Mienen davon. Hinter sich vernahm er die heisere Stimme Luths.
    »War nur ’n Erdrutsch.«
    »Ich kann nirgends die Leiche sehen«, wunderte sich sein Kamerad.
    »Machst du Witze? Die ist längst Matsch.«

Der Turm von Zin
    A m gefährlichsten seien die Wachttürme, hatte Gabbar gewarnt. Die ganze Nacht hindurch brannten dort Fackeln. In jede Himmelsrichtung spähte ein Soldat. Erwischte Qoqh nur einen beim Schlafen, wurden alle vier exekutiert. Aus verständlichen Gründen kam das selten vor. Die Posten achteten auf kleinste Bewegungen und das leiseste Geräusch. Ohne Licht waren sie trotz ihrer großen Glubschaugen jedoch so blind wie ein Paddelfisch. Aus diesem Grund hatte sich Taramis auch das Mysterium der schlafenden Flammen ausgedacht.
    Er huschte dicht an der Mauer entlang, wo die Schatten am dunkelsten waren. Über ihm brannten die Wachfeuer. Hätte Pyron sie nicht längst löschen müssen? Qoqhs Bemerkung über die ins Meer verlagerte Reiterei war nicht so niederschmetternd gewesen wie seine Andeutung, dass es einen Spitzel unter den Gefangenen geben musste.
    Wer war der Verräter? Irgendein Gefangener, der zufällig etwas von ihren Gesprächen beim Abendessen aufgeschnappt hatte, ohne Taramis als Aufrührer erkannt zu haben? Das würde erklären, warum der Dicke nichts über die Identität des Rädelsführers wusste. Oder – der Gedanke erschien Taramis ungeheuerlich – gehörte der Spion zum engsten Kreis seiner Vertrauten? Das wäre eine Katastrophe, denn obwohl sämtliche Vorzeichen auf ein Scheitern der Flucht hindeuteten, vermochte er sie nicht mehr abzublasen.
    Die ihm auferlegte Bürde war zu einer erdrückenden Last geworden. Zwölf Gefährten hatten ihr Schicksal in seine Hände gelegt. Der kleinste Fehler, den er machte, konnte sie das Leben kosten. Im Vorfeld des Unternehmens hatten sie daher schier endlos alle erdenklichen Eventualitäten durchgespielt. Bis zum schlimmsten Fall.
    »Sollten wir sterben, musst du alleine fliehen«, hatte Marnas ihn beschworen. »Dann bist du der letzte Nebelwächter, der Berith vor der dagonisischen Plage retten kann.« Taramis flehte im Stillen, dass es nicht so weit kam. Er musste seine Chance nutzen. Es würde keine weitere geben.
    Talabwärts tauchten Lichter auf, klein wie Kerzenflammen. Natsars Festung. Taramis kauerte sich in einen dunklen Winkel an der Ausbuchtung eines Wachtturms im Steinwall. Seine wunden Füße schmerzten. Er fühlte sich erschöpft, obwohl die Flucht gerade erst begonnen hatte. Unbewusst griff er nach dem Anhänger an seinem Halsband. Veridas hatte gesagt, er könne den Sternensplitter sehen, selbst wenn er hinter dicken Mauern lag.
    Auf dem Boden zeichnete sich der Schatten der Turmzinne ab. Sogar die Umrisse eines Fischkopfes meinte Taramis zu erkennen. Im unsteten Licht zuckte der Scherenschnitt wie toll über den Boden.
    Plötzlich erloschen nacheinander sämtliche Fackeln. Nur drüben im Turm von Zin brannten sie noch, genau wie in den Nächten davor.
    Taramis fiel ein Stein vom Herzen. So lautlos, wie es nur ein zeridianischer Jäger vermochte, huschte er zum verabredeten Treffpunkt. Die Stelle lag genau zwischen zwei Wachttürmen. Auf der anderen Seite des Walls befanden sich die Arrestzellen für undisziplinierte Mitglieder des Wachbataillons. Sie standen so gut wie immer leer, weil Qoqh eher zu Strafen neigte, die bei den

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