Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Gezüchtigten in kürzester Zeit größtmöglichen Eindruck hinterließen.
Mit dem Gesicht zur Wand blieb Taramis stehen. Er streifte das Halsband ab und hielt den Sternensplitter an der ausgestreckten Hand dicht vor den Steinwall, obwohl Veridas ihm derlei Hilfestellungen hatte ausreden wollen. Er betreibe keinen Hokuspokus, hatte der Seher erklärt, sondern versetze lediglich ein Stück Mauer.
Dummerweise geschah nichts dergleichen. Sosehr Taramis auch mit dem schwarzen Meteoritenstück hin und her wackelte, so unbeweglich ruhten die Wallsteine aufeinander. Unterdessen verschafften sich auf den Türmen frustrierte Posten Luft, indem sie fluchten, stöhnten, oder einfach nur zum Abwarten rieten. Sie würden sich nicht ewig ablenken lassen.
Unvermittelt spürte Taramis einen Luftzug im Gesicht. Er hatte nicht das Geringste gehört. Deshalb traute er auch seinen Augen nicht und trat ungläubig einen Schritt vor, um zu fühlen, was ihm das Sternenlicht vorzugaukeln schien. Doch es stimmte. Die Wand war verschwunden … Nein – er hatte inzwischen die Ränder der runden Öffnung ertastet –, sie war durchlöchert. Schritte näherten sich, gefolgt von einer raunenden Stimme, die er trotzdem erkannte.
»Mach sofort den Weg frei! Veridas kann das Tor nicht ewig offen halten.« Es war Gabbar.
Taramis sprang zur Seite. Sollte sich noch irgendjemand im Durchgang aufhalten, wenn den Seher die Kräfte verließen, wäre das für denjenigen tödlich. Mit der Rückkehr der Steine an ihre angestammten Plätze würde er bei lebendigem Leibe eingemauert.
Der Hüne schlüpfte aus dem Loch. Er hielt ein Bündel Riemen und eine Art Gürtel in den Händen, die er neben Taramis in den Staub fallen ließ, ehe er raunte: »Konnten keinen einzigen Reiter mitnehmen. Sind alle ausgeflogen.«
»Ich weiß. Wir sind verraten worden. Ich hab’s aus dem Mund des Dicken höchstpersönlich erfahren.«
Inzwischen hatte sich Marnas dazugesellt. »Wer ist der Spitzel?«
»Hat Qoqh nicht gesagt.«
»Dann müssen wir doppelt auf der Hut sein.«
»Darauf kannst du Gift nehmen«, schnaubte Gabbar. »Einen Mucks von dem Kerl, und ich breche ihm das Genick.«
»Wir haben ausgemacht, jedes unnötige Blutvergießen zu vermeiden.«
»Oh, ich verspreche dir, er wird nicht bluten. Jedenfalls nicht äußerlich. Wir können uns keinen Verräter in unseren Reihen leisten, nicht bei dem verrückten Notfallplan, mit dem du gestern rausgerückt bist. Hast du außer den Männern aus der Nummer zwölf schon jemanden eingeweiht?«
»Nein.«
»Ist vielleicht auch besser so.« Gabbar deutete auf den Haufen zu seinen Füßen. »Das Zeug haben wir aus dem Arresthaus mitgenommen. Eignet sich bestens zum Fesseln von Fischköpfen. Mit der Halsmanschette können wir deinen Schlangenreiter an die Kandare nehmen.«
Unterdessen hatten sich die übrigen Gefährten ins Freie gedrängt: Masor, Pyron, Zur, Purgas, Aragor, Adámas, Madon, Siph, Dor und zuletzt Veridas. Der Luxanianer wankte.
Taramis streckte ihm die Hand entgegen, zog ihn vollends von der Öffnung weg und umarmte ihn. Während er ihn festhielt, knickten Veridas die Knie ein.
»Das war knapp«, keuchte der Seher. Hinter ihm schloss sich das versetzte Mauerstück so lautlos, wie es entstanden war.
»Du hast dem Kreis der Zwölf zur Flucht verholfen. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.«
»Danke nicht mir, sondern Gao. Er hat die Fischköpfe mit Blindheit geschlagen.«
»Wir müssen weiter!«, flüsterte Marnas ungeduldig. »Die Wachen beruhigen sich schon. Wie lauten deine Befehle?«
Taramis verzog unwillig das Gesicht. »Das fragt der Hüter von Jâr’en mich? Du solltest von hier ab die Anweisungen geben.«
»Nein, Taramis. Mit dem Fall von Jâr’en habe ich das Anrecht verloren, die Garde zu kommandieren.«
»Aber …«
»Wir haben keine Zeit dafür. Du bist nun unser Kommandant.«
Zähneknirschend fügte sich Taramis in seine Rolle. Er wandte sich Aragor zu, einem sehnigen Tempelwächter mit sieben roten Zöpfen. »Der Plan hat sich geändert. Kannst du die Schatten des Walls verlängern, damit das Sternenlicht uns nicht verrät?«
Aragor nickte nur. Als Schattenschmied vermochte er Schatten fast beliebig zu verzerren, aufzulösen oder in jedweder Gestalt und Intensität neu zu erschaffen. Er wandte sich seinem Rohling zu und begann mit der Arbeit.
Bald floss der Schatten wie eine schwarze Flüssigkeit vom Wall weg. Unterdessen verteilte Gabbar die im Arresthaus erbeuteten Riemen
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