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Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt

Titel: Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sie ihn sahen? Wohl kaum. Er war zweihundert Fuß tief unter ihnen.
    »Lasst es euch schmecken«, rief Luth.
    Der andere lachte.
    Die Lichter verschwanden und Ruhe kehrte ein.
    In seiner Benommenheit wusste Taramis mit der letzten Bemerkung des Fischkopfes nichts anzufangen. Erst als sich ein vielstimmiges Klicken und Kratzen in die Stille mischte, klarte sein umwölkter Geist auf. Das leise Geräusch kam von allen Seiten. Und es näherte sich.
    Leichenfledderer!
    Hektisch rappelte er sich hoch. Unter seinen nackten Füßen knirschte ein Knochen. Die kleinen Aasfresser waren im schwachen Licht der Sterne nicht zu sehen. Nur bleiche Gebeine.
    »Au!« Es war mehr der Schreck als der Schmerz, der ihn aufschreien ließ. Jemand hatte ihn gezwickt. Taramis hob den linken Fuß. An seinem großen Zeh hing ein Tier, das einem Hirschkäfer glich und fürchterlich stank – der Geruch kam also von den Biestern. Es zitterte und fiel von ihm ab.
    »Selber schuld«, brummte er mürrisch. Anscheinend waren die Fledderer nur gegen das Blut toter Zeridianer gefeit.
    Ehe er das Bein zurückstellen konnte, spürte er ein weiteres Ziepen, diesmal am kleinen Zeh des anderen Fußes. Von der heftigen Attacke überrascht, zuckte er zusammen. Der Knochenhaufen unter ihm geriet ins Rutschen, Taramis verlor das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin.
    Benommen hob er den Kopf. Ein Totenschädel grinste ihn an. Aus einer der Augenhöhlen krabbelte ein Aaskäfer heraus und reckte dem Menschen herausfordernd die Scheren entgegen. Rasch drehte sich Taramis auf den Rücken und sah sich um. Mit einem Mal wimmelte es auf den bleichen Gebeinen nur so von Leichenfledderern. Veridas hatte recht gehabt: Der Traum war eine Vision gewesen. Ein Blick in die Zukunft, die sich zur alptraumhaften Wirklichkeit verkehrt hatte.
    Taramis rappelte sich erneut hoch und stakste auf den Rand der Grube zu. Trotz seiner scharfen Augen übersah er im schwachen Sternenlicht etliche Fußangeln und geriet immer wieder ins Stolpern. Und die kleinen Plagegeister wollten auch keine Ruhe geben. Ohne Unterlass zwickten und bissen sie ihn, obwohl es ihren sicheren Tod bedeutete. Sie würden nicht aufgeben, ehe sie ihn besiegt hatten.
    Endlich erreichte Taramis die steile Flanke der Grube, fast senkrecht ragte sie vor ihm in die Höhe. Das Abfangen des Sturzes hatte ihn erschöpft, sowohl mental als auch körperlich. Außerdem bluteten seine Füße und Waden aus vielen kleinen Bisswunden. Er griff nach einem vorspringenden Felsen und zog sich mit einem trotzigen Knurrlaut daran hoch. Während er weiterkletterte, fielen die letzten vergifteten Käfer von ihm ab. Sie lebten offenbar nur auf dem Boden des Friedhofes.
    Er kam schnell voran, bis ihm ein großer Schatten die Sicht nahm. Es war ein felsiger Überhang, der waagerecht aus der Grubenflanke herausragte. Darunter herrschte dichte Finsternis. Taramis tastete das Hindernis mit den Fingern ab. Es war so glatt wie ein Feuerstein. Nirgends ließ sich ein Halt finden.
    Umkehren kam für ihn nicht infrage. Die Leichenfledderer sollten ihn kein weiteres Mal zwischen die Scheren bekommen. Außerdem gingen seine Kräfte allmählich zur Neige.
    Er hangelte sich ein Stück seitwärts an der Flanke entlang. Über sich sah er eine Felsnase, an der er sich hochziehen konnte. Sofern er sie zu fassen bekam. Er streckte sich, doch sein Arm war zu kurz. Gib nicht auf! Abermals reckte er sich mit dem ganzen Körper, verlagerte das Gewicht auf die Zehenspitze, keuchte vor Anstrengung – und seine Linke schloss sich um den Vorsprung.
    Er zog sich langsam weiter nach oben. Plötzlich zerbröckelte der Stein und seine Füße rutschten ab.
    Taramis unterdrückte einen Fluch. Nur mit der rechten Hand hing er noch an der Wand. Unter ihm erstreckte sich das bleiche Knochenmeer. Wütend funkelte er den dunklen Felsen an. Seine Finger glitten unaufhaltsam ab. In diesem Moment, als alles verloren schien, brach das Siegel seiner Lippen.
    »Fort mit dir!« Nicht nur in Worten, auch im Geist hatte sich sein Zorn entladen und Kräfte freigesetzt, die er sich nie zugetraut hätte.
    Knirschend neigte sich der Stein nach unten, geriet ins Rutschen und polterte in die Tiefe, wo er etliche Gebeine zermalmte.
    Taramis hatte sich völlig verausgabt. Er sah sich schon als sauber abgenagtes Skelett am Grund der Grube liegen. Unvermittelt fiel ihm ein kurzer, nur etwa zwei Finger breiter Sims auf. Im Schatten des Überhangs hatte er ihn zuvor nicht bemerkt. Rasch

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