Die Zeugin: Thriller (German Edition)
naheliegende Fragen. Zuletzt: »Sind Sie ganz sicher?«
»Ich habe keine Beweise, und vielleicht drehe ich allmählich durch. Trotzdem, ich bin mir sicher.«
Nussbaums Schweigen wirkte nachdenklich. »Die Sünden des Vaters kommen über den Sohn und die Tochter.«
»Wie biblisch.«
»Rory, das ist wirklich brandgefährlich. Ihre Cousins kennen anscheinend keine Grenzen.«
»Wenn es je so war, dann sind die Schranken jetzt endgültig gefallen.«
»Wir müssen davon ausgehen, dass sie durch die Aktion bei Gericht an das Geld aus dem Raub kommen wollten, und das ist schiefgegangen. Und wenn ein Plan nicht hinhaut, kann das zu verzweifelten Reaktionen führen.«
»Sie meinen, dass sie es noch mal probieren könnten. Das ist mir klar. Deswegen habe ich letzte Nacht nicht zu Hause geschlafen und wollte jetzt zu Ihnen fahren. Sie haben doch einen Wachdienst, oder?«
Seine Stimme wurde hart. »Begeben Sie sich an einen öffentlichen Ort. Etwas, womit Ihre Cousins nicht rechnen. Und halten Sie sich immer schön an die Geschwindigkeitsbegrenzung, damit die Polizei keinen Vorwand hat, Sie festzunehmen.«
»Alles klar.« Sie fühlte sich bei Weitem nicht so unverwüstlich, wie sie klang.
Nach dem Telefongespräch umklammerte sie das Lenkrad, das in ihrem Griff zu vibrieren schien. Hinten drückte Chiba den Kopf ans Fenster, um die vorüberziehenden Autos, Felder und Wolken zu beobachten.
Ein Insidertipp.
Was war das für ein Gespenst, das Jagd auf die Beute aus dem Überfall machte? Bestimmt nagte der Gedanke an das verlorene Geld schon lange an der Seele des Insiders. Mil lionen, ein Traum, eine Obsession. Genug, um dafür erneut Menschen in den Tod zu schicken.
Die Sünden des Vaters kommen über den Sohn und die Tochter.
Rory glaubte nicht an Schuld durch Verwandtschaft oder Gene. Doch Lees Sünde war von seiner Tochter und seinem Stiefsohn aufgegriffen und genährt worden. Sein Bruder hatte die Sünde voller Scham begraben. Und nun hatte Rory damit zu kämpfen.
Jeder aktuell Beteiligte war das Kind von jemandem, der schon damals dabei gewesen war. Der Kreis hatte sich auf fatale Weise geschlossen.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, musste sie ganz von vorn anfangen. Jemand hatte den Räubern den Zeitplan für die Fahrt des Geronimo-Geldtransporters verraten. Wer hatte davon gewusst?
Wegen der riesigen Menge an eingesammelten Banknoten waren vermutlich die lokalen Polizeibehörden vorab informiert worden. Das Sheriff’s Department des Los Angeles County und die California Highway Patrol. Und die Polizei von Ransom River.
Das Radio brachte jetzt Nachrichten. Rory wollte schon die Lautstärke herunterdrehen, doch ihre Hand erstarrte mit ten in der Bewegung.
»Judge Arthur Wieland, der vor zwei Tagen bei dem Überfall auf das Gericht von Ransom River angeschossen wurde, starb heute Morgen im West River Hospital.«
Der Schock verhinderte, dass sie den Rest mitbekam.
Sie musste am Seitenstreifen der Autobahn anhalten. Ihr war übel. Judge Wieland, ein engagierter, zupackender Rich ter mit gelegentlich aufblitzendem Humor, war an einer Schussverletzung gestorben, die nicht tödlich hätte enden müssen, wenn er rechtzeitig in ein Krankenhaus gebracht worden wäre.
Wie das Stechen von Dornen spürte sie den Zorn über diesen sinnlosen Tod. Hinten im Auto bellte Chiba. Der Fahrt wind des vorüberziehenden Verkehrs ließ den Subaru erbeben.
»Verdammte Arschlöcher«, knurrte sie.
Als das Telefon läutete, ignorierte sie es. Das Klingeln brach ab und fing kurz darauf wieder an. Schließlich hob sie voller Furcht ab.
»Ms. Mackenzie? Hier Detective Zelinski.«
Sie lehnte sich an die Kopfstütze. »Ich habe gerade von Judge Wieland gehört.«
»Ich empfehle Ihnen, im Revier zu erscheinen.«
»Warum?«
»Wir möchten Ihnen weitere Fragen stellen. Ich empfehle Ihnen, nicht auf Ihren Anwalt zu warten.«
»Sie wissen, dass ich auf meinen Anwalt warte.«
»Ihr Nichterscheinen könnte als Flucht gedeutet werden.«
»Das ist lächerlich.«
»In diesem Fall bekämen sämtliche Strafverfolgungsbehörden Ihre Personenbeschreibung mit der Anordnung, überall nach Ihnen Ausschau zu halten. Das heißt, es gäbe eine Fahndung mit dem Ziel Ihrer Festnahme.«
Damit brachte er zum Ausdruck, dass sie sie als gefährliche Flüchtige einstufen und notfalls unter Gewaltanwendung verhaften würden. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ach, Macht war doch was Schönes. Es bereitete einfach Vergnügen, sie so beiläufig und
Weitere Kostenlose Bücher