Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Schüsse gefallen sind.«
Seth Colder hörte auf zu essen und wandte sich dem Bildschirm zu.
Das Nachrichtenteam hatte sich im Parkhaus gegenüber dem Gericht verschanzt. DieReporterin turnte wild im Bild herum, eine Anfängerin, die ihre Aufregung nicht verbergen konnte.
Hab Spaß, Kleine, dachte Seth. Bald ist es damit vorbei.
»Mit Sicherheit können wir nur sagen, dass es in der Strafkammer, vor der sich die Polizeibeamten Jared Smith und Lucy Elmendorf wegen Mordes an dem halbwüchsigen Einbrecher Obrad Mirkovic zu verantworten haben, zu einem Vorfall gekommen ist.«
Seth wischte die Hände an der Serviette ab. Seinen Kaffee ließ er stehen.
Seit zwei Jahren hatte er keinen Fuß mehr in dieses Gericht gesetzt, doch es war völlig unverändert. Und was ihm die vom Parkhaus aus gefilmten Bilder zeigten, ließ ihn erstarren.
Die Polizei von Ransom River war mit einem großen Einsatzteam vor Ort. Streifenwagen und Zivilfahrzeuge mit An tennen, hinter denen Beamte warteten. Sie hatten beide Sei ten des Blocks abgesperrt.
Die Reporterin dämpfte die Stimme. »Dort, die Fenster des Gerichtssaals.«
Die Kamera zoomte darauf zu. Und Seth vergaß, dass er in L. A. war, dass ihn Berge und Täler und ein ganzes Leben von Ransom River trennten. Denn an den Fenstern im zweiten Stock standen Geiseln. Männer und Frauen drängten sich mit erhobenen Händen an den Scheiben. Sie verhinderten jeden Blick ins Innere des Saals.
Sicher gingen bereits die Scharfschützen der Polizei in Position. Vermutlich in dem Parkhaus. Nicht mehr lang, und das Nachrichtenteam wurde rausgeschmissen. Wenn die Cops schlau waren.
Falls sie überhaupt merkten, von wo aus das Team übertrug. Falls sie sich nicht darauf versteiften, Kontakt mit dem Sender aufzunehmen, um die Ausstrahlung zu beenden. Und falls nicht irgendein idiotischer Einsatzleiter der Meinung war, dass das Fernsehen der Polizei nützliche Bilder lieferte. Die Verantwortlichen mussten dieses Nachrichtenteam aus dem Verkehr ziehen. Eine Live-Übertragung war gefährlich.
Denn Seth wusste natürlich, dass er Judge Wielands Gerichtssaal vor sich hatte. Und wie alle viel beschäftigten Richter mit vollem Terminkalender war Wieland ein Meister im Jonglieren. Er lauschte dem Fall, der in seinem Saal verhandelt wurde, während er gleichzeitig mit einer Hand Anträge unterschrieb und mit der anderen seine E-Mails öffnete. An seinem Platz standen also garantiert ein großer Monitor und ein superschneller Rechner.
Also konnte jeder im Gerichtssaal die Übertragung sehen, die Seth gerade verfolgte. Und damit waren der oder die Täter der Polizei automatisch einen Schritt voraus.
R ory schluckte schwer. Reiß dich zusammen. Das Weinen hin ter ihr war wieder lauter geworden. Auf Judge Wielands Pult klingelte immer wieder das Telefon. Wieland selbst konnte sie nicht hören, sie wusste nicht, ob er noch atmete, ob ihm jemand beistand, während er um sein Leben rang. Unweit von ihr liefen Reagan und Nixon auf und ab und stritten in gereiztem Flüsterton. Ganz langsam drehte Rory den Kopf, um sie zu beobachten.
»Wir müssen es machen, und zwar sofort«, zischte Reagan.
»Nein.« Nixon nahm ein Telefon aus der Tasche. Zuerst dachte Rory, dass er nach der Zeit sehen wollte, doch er blätterte durch mehrere Seiten wie auf der Suche nach neuen Nachrichten. Offensichtlich frustriert steckt er es wieder weg.
»… einfach abhauen, nur wir zwei«, wisperte Reagan. »Wir …«
Vor dem Fenster kam kurz ein Hubschrauber in Sicht. Das Dröhnen der Rotoren schwappte durch den Raum.
Nixon schien seinen Griff um Reagans Arm zu verstärken. »… verratzt. Wenn wir allein abhauen, gehen wir drauf. Nein. Der Plan ist der Plan.«
»Was sollen wir also machen? Das …«
Auf dem Korridor plärrte eine neue Stimme durchs Megafon.
»Hier spricht Sergeant Ray Nguyen vom Kriseninterventionsstab Ransom River.«
Ein Verhandlungsspezialist. Rory hielt den Atem an.
Reagan zuckte zusammen und schielte zur Tür. »Wenn wir uns ergeben …«
»Nein!« Nixon schüttelte ihn am Arm. »Scheiße, kapierst du nicht, was das für Konsequenzen hätte? Wenn wir … ich fass es nicht … uns ergeben? Nicht nur die Bezahlung …«
»Ich bin hier, um Ihnen zuzuhören und dafür zu sorgen, dass niemandem was passiert. Können Sie mir bitte sagen, mit wem ich es zu tun habe?«
Reagan riss sich los. »Hab verstanden, du Arsch. Wir müssen ihn rauslocken, sonst …«
»Klappe«, fauchte Nixon. »Wenn wir uns
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