Die Zeugin: Thriller (German Edition)
silbernen Halskette. Sie schluckte.
Nixon und Reagan trieben genügend Leute zusammen, um alle neun oder zehn Fenster des Gerichtssaals zu blockieren.
Hinter ihr wurde es bedrohlich still. Nach wie vor war die Anspannung mit Händen zu greifen, doch nun hatte sich die Angst noch verschärft. Was die Maskierten mit ihrem Überfall bezweckten, war völlig unklar. Klar war nur, dass sie jetzt mitten in einer Belagerung steckten.
Ununterbrochen jaulten die Sirenen. Rory wartete. Die Einsatzkräfte würden einen Sprecher bestimmen. Wenn sie klug waren. Waren sie das? Waren sie kompetent? Der Beamte bei der Polizei von Ransom River, den sie am besten gekannt hatte, war es mit Sicherheit.
Noch immer trafen schwarzweiße Streifenwagen ein. Zu beiden Seiten des Blocks stellten sie sich quer, um die Straße zu sperren. Polizisten strömten heraus und stoppten den Verkehr. Auf dem Gehsteig vor der River Mall standen Fußgänger, die gafften und herüberdeuteten.
Mütter mit Kinderwagen. Ältere Mall-Besucherinnen in Momjeans und Schirmmützen. Mit einem Funkgerät am Gesicht trabte ein Cop hinüber und scheuchte sie zurück.
Rorys Blick wanderte von einem Passanten zum anderen. Innerlich flehte sie, dass ihre Eltern nicht dabei waren. Hoffentlich sind sie nicht hergekommen.
Dennoch spürte sie ein Ziehen in der Kehle. Eine leise, traurige Sehnsucht nach dem melancholischen Lachen ihrer Mutter. Was soll der Quatsch, Kleines? Beweg deinen Hintern und komm da raus. Ihre gelassene, praktische Mom, die nach dreißig Jahren Lehrtätigkeit an der Highschool von Ransom River genau wusste, wo es langging. Samantha, die Rory immer so fest in die Arme schloss, als müsste sie ihr die Schwerkraft ersetzen.
Rorys Augen brannten. Sie konnte ihren Dad vor sich se hen, streng, aber herzlich, das Haar zu grau, die Arme gebräunt und stark von einem Leben voller Arbeit im Freien. Er schüttelte den Kopf. Lass sie los, Sam. Die Welt ist groß, und sie muss irgendwo anfangen, wenn sie sie sehen will.
Tränen traten ihr in die Augen. Sie wollte sie abwischen, aber sie wagte nicht, die Hände vom Glas zu nehmen. Sie blinzelte, und ihre Wangen wurden nass.
Du musst raus hier. Das hatte ihr Dad immer über Ransom River zu ihr gesagt. Für die Hälfte der hier lebenden Menschen war der Ort vielleicht das Paradies, doch für sie bestand er nur noch aus öden Einkaufszentren und Stagnation, aus schikanösen Verwandten und Liebeskummer.
Und wenn sie fragte: Wieso zieht ihr dann nicht weg, du und Mom?, war seine Antwort: Wir sind alt, für uns ist es anders. Dann setzte er ein schiefes Lächeln auf, das unbeschwert wirken sollte, hinter dem aber etwas anderes lauerte. Und wenn sie ihn darauf ansprach, zitierte er den berühmten Base ballspieler Satchel Paige: Schau nicht zurück, es könnte dein Verhängnis sein.
Sie hatte es versucht. Sie hatte geglaubt, sie müsse nur laufen, trainieren, stark sein, studieren, die Augen offen halten, immer volle Fahrt voraus, um die Stadt irgendwann hinter sich zu lassen.
Doch sie hatte es nicht geschafft. Das Verhängnis hatte sie nicht losgelassen. Und jetzt hatte es sie eingeholt.
Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte sie gegen das Zucken ihrer Schultern an. Lass dir nichts anmerken. Jalousien runter. Zeig ihnen keine Risse in der Fassade, die sie ausnutzen können. Sie schloss die Augen, um die Tränen zu unterdrücken.
Draußen packte ein Fernsehteam seinen Bus zusammen. Alle sprangen hinein, dann jagten sie direkt über die Straße in das Parkhaus der Mall. Die Hecktür war offen. Hinten saß der Kameramann und filmte.
Allmählich nahm die Polizeiabsperrung Gestalt an. Die Phalanx der Streifenwagen zog sich in sichere Entfernung zurück. Hinter den Fahrzeugen gingen Uniformierte und Zivilbeamte in Stellung. Eine Hand stützend am Einsatzgürtel, trabte eine Polizistin hinüber zu den Besuchern des Einkaufszentrums, um sie zurückzudrängen.
Die Beamten bewegten sich entschlossen, und ihre dunkelblauen Uniformen hoben sich in der hellen Vormittagssonne deutlich vom grünen Gras ab. So nah, fast greifbar, nur durch einige Millimeter Glas und dreißig Meter Luft von ihr getrennt. Direkt vor ihr.
Doch sie sah jemand anders. Spürte ihn fast, konnte sein Flüstern hören.
Wieder kamen ihr die Tränen. Verdammt.
Kaum erkennbar, eine gespenstische Spiegelung im Glas, griff Nixon hinter ihr nach Reagans Ärmel. Er zerrte daran und beugte sich zu ihm, wie um Reagans volle Aufmerksamkeit zu
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