Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Pause. »Haben Sie das gesehen?«
»Er hat mich absichtlich ausgesucht. Verdammt.«
»Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Nein.«
Das war verrückt. Schlimm.
»Lassen Sie es zurücklaufen. Zeigen Sie es mir noch mal.«
»Sie werden genau das Gleiche sehen«, erwiderte Zelinski.
»Sie haben mich ausgewählt? « Mit offenem Mund wandte sie sich an Xavier. »Aber warum?«
»Das würden wir gern von Ihnen hören.«
Plötzlich stürzte die Temperatur im Zimmer ins Bodenlose. Rory war so überrumpelt, dass ihr die Kontrolle entglitt. Sie tat etwas, das sonst kein Mackenzie tat: Sie sprach, ohne zu überlegen, ohne vorher einen Blick in ihre Karten zu werfen. Ohne wirklich verstanden zu haben, dass sie gerade einen Joker bekommen hatte.
»Herr im Himmel. Vom Fenster aus hab ich sie flüstern hören. Als es darum ging, ob sie flüchten sollen, hat einer was von einer ›Tussi‹ gesagt. Damit haben sie mich gemeint.« Sie sah Xavier an. »Die zwei haben mich ausgesucht. Sie wollten mich mitnehmen.«
»Tussi?«, wiederholte Zelinski.
»Genau das Wort haben sie benutzt.«
Er presste den schnellen Vorlauf. »Zeigen Sie mir, wo Sie erwähnt werden.«
Bebend ließ sie die Bilder vorbeiziehen. »Stopp.«
Die Kamera zeigte sie am Fenster. Hinter ihr hatten Nixon und Reagan die Köpfe zusammengesteckt. Ihre Haltung war aggressiv und nervös.
»Da haben sie sich darüber unterhalten«, erklärte sie.
Mit geneigtem Kopf fixierte Zelinski den Monitor. »Sie meinen, die zwei hatten es auf Sie abgesehen? Nicht auf die Angeklagten?«
»Ich kann Ihnen nur erzählen, was ich gehört habe.«
»Sie glauben also, die zwei waren nicht auf Geld aus.«
»Sie haben fünf Millionen verlangt, also vielleicht doch.«
»Und warum wollten sie unbedingt Goldbarren?«
»Soll ich spekulieren? Keine Farbstoffpäckchen. Keine Se riennummern. Gold lässt sich einschmelzen. Man kann Hoch zeitsringe, Halsketten und kleine Schlumpffiguren daraus machen.«
»Sehr überzeugt klingen Sie aber nicht.«
»Bin ich auch nicht. Die Forderung nach Goldbarren kam mir von Anfang an absurd vor.«
»Wirklich?«
»Welche Einrichtung hat Goldbarren im Wert von fünf Millionen rumliegen? Wie sollten die Behörden das in so kurzer Zeit beschaffen?«
»Interessieren Sie sich für Geld, Ms. Mackenzie?«
Und seit wann prügeln Sie Ihre Frau nicht mehr? Sie bemühte sich um einen ruhigen Ton. »Man braucht es, damit man die Miete zahlen kann und Essen auf den Tisch bringt.«
»Sie sind arbeitslos.«
»Die Hilfsorganisation, für die ich tätig war, hat ihre Finanzierung verloren.« Ihre Wangen brannten.
»Was für ein Glück, dass Sie dadurch rechtzeitig nach Ran som River zurückkehren konnten, um Ihre Bürgerpflicht zu erfüllen.«
»Glück? Asylum Action setzt sich für Flüchtlinge ein, die politisches Asyl suchen. Oder hat sich dafür eingesetzt. Wir haben Fälle bearbeitet, wo Menschen in ihr Heimatland zu rückgeschickt wurden. Wir haben Anträge gestellt. Gegen Ab schiebungen gekämpft. Aufgepasst, dass Menschen nicht in Gefahr geraten.«
»Ich habe Ihren Pass gesehen. Sie waren in Genf?«
»Helsinki, London, dann Genf. Zwei Jahre.«
»Gary«, mahnte Xavier.
Zelinski zog einen weiteren Kaugummi heraus und stopfte ihn zu dem Klumpen in seinem Mund. »Was wollten die Bewaffneten?«
Rory lief ein Schauer über den Rücken. »Das weiß ich nicht.«
»Haben sie den Gerichtssaal gestürmt, um die Angeklagten zu entführen?«
»Vielleicht.«
»Aber warum haben sie dann vier andere Leute ausgesucht, um sie mitzunehmen?«
Rory zögerte. »Ich habe keine Ahnung.«
»Sie haben gesagt, die Bewaffneten hatten verborgene Absichten. Sie meinen also, dass sie sich mit jemandem außerhalb des Gerichtssaals abgestimmt haben?«
»Sie haben doch Nixons Handy – schauen Sie nach, mit wem er Kontakt hatte.«
Zelinski dehnte den Mund zu einer kalten, zahnbetonten Annäherung an ein Lächeln.
Wegwerftelefon, dachte Rory. Im Voraus bezahlt, um es ausschließlich während des Überfalls zu verwenden und dann zu entsorgen. Und der Empfänger von Nixons Nachrichten hatte es sicher genauso gemacht.
Zelinski beugte sich vor. »Verborgene Absichten. Leuchtet mir ein. Aber ich frage mich, ob Sie da nicht irgendwie dazugehören.«
Plötzlich erschien Rory der Raum unerträglich hell. Das Sirren der Lichter und der Klimaanlage klang wie pulsender Starkstrom. »Nein«, antwortete sie. »Was meinen Sie damit?«
»Hilfe von außen. Klingt völlig plausibel.
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