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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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etwas Vielversprechendes in ihrer Kristallkugel entdeckt hat. »Dieses Dilemma wirst du schon überleben. Du warst immer neugierig und tapfer, und beide Eigenschaften haben dir gute Dienste geleistet. Als ich dich zum allerersten Mal auf der Entbindungsstation sah, da hast du schon um dich geschaut, statt wie die anderen Babys friedlich in deinem Bettchen zu schlafen. Bereits damals habe ich deiner Mutter gesagt, daß du etwas ganz Besonderes bist, und daran gibt es bis heute nichts zu rütteln.«
    Ihre Augen leuchteten. »Du bist einzigartig. Auf dich wartet eine wunderbare Zukunft. Du wirst schon sehen, daß ich recht behalte.«
    Â 
    Am Morgen war die Stimmung gedämpft und niedergeschlagen.
    Kendalls Großmutter drückte ihr einen Umschlag mit Geld in die Hand. Es kostete Kendall einigen Stolz, ihn anzunehmen, doch sie hatte keine andere Wahl. »Ich zahle es dir zurück, sobald ich mich irgendwo niedergelassen und einen Job gefunden habe.«
    Â»Was mein ist, ist auch dein, das weißt du doch. Und mach dir keine Gedanken, daß der Betrag irgendwo auf einem Kontoauszug
auftauchen könnte. Das Geld war seit Jahren überall im Haus versteckt.«
    Â»Hey! Wie eine echte alte Gangsterbraut!« Ricki Sue schlug ihr auf den Rücken. »Oma, du gefällst mir!«
    Es tröstete Kendall, daß sich die beiden angefreundet hatten. Sie hatte keine Bedenken, ihre Großmutter Ricki Sues Obhut anzuvertrauen.
    Â»Ich rufe an, sobald ich kann«, versprach sie ihnen. »Aber wahrscheinlich werde ich mich immer nur kurz melden, sie könnten eure Telefone anzapfen.« Sie bemerkte, wie verstört die beiden dreinschauten, und erläuterte: »Ich traue denen einfach alles zu. Seid bitte vorsichtig.«
    Sie hätte ihnen gern von dem Kind in ihrem Bauch erzählt, entschied sich aber dagegen. Die beiden hätten sich nur noch mehr Sorgen bereitet. Außerdem mißtraute sie sich selbst. Vielleicht hätten die beiden sie beschworen, nicht so spurlos zu verschwinden, und sie hätte in Versuchung geraten können, bei ihnen zu bleiben.
    Schließlich nahte der unvermeidliche Abschied. Kendall umschlang ihre Großmutter mit beiden Armen und prägte sich den Duft und den zerbrechlichen Körper so fest wie möglich ein. »Ich liebe dich, Großmutter. Wir treffen uns, sobald es geht.«
    Die alte Dame löste sich aus ihrer Umarmung und sah ihr lange ins Gesicht. »Ich liebe dich auch. Mehr als alles andere. Werde glücklich, mein Kind.« Kendall blickte in die ernsten Augen und begriff, daß dies ein endgültiger Abschied war.
    Als ihr klar wurde, daß sie ihre Großmutter wahrscheinlich nie wiedersehen würde, hätte sie sich am liebsten an sie geklammert und nie wieder losgelassen. Doch sie folgte dem würdigen Beispiel, das Elvie Hancock gab, und rang sich ein tapferes, wenn auch zittriges Lächeln ab.
    Ricki Sue, die unter lautem und hemmungslosem Heulen
bekannte, daß sie für ihren Teil keine mordlüsternen Hinterwäldler oder verräterischen Bullen am Hals haben wollte, scheuchte Großmutter aus dem Zimmer.
    Durchs Fenster sah Kendall sie abfahren, dann weinte sie, bis ihr die Kehle schmerzte. Was hatte sie schon von der Bruderschaft zu befürchten? Bevor man sie aufspürte, war sie bestimmt schon an gebrochenem Herzen gestorben.
    Â 
    Sie ließ ihren Wagen auf dem Parkplatz des Motels in Chattanooga stehen und kaufte sich von einem Teil des Geldes, das Großmutter ihr zugesteckt hatte, eine alte Rostlaube, die jemand in einer Kleinanzeige angeboten hatte.
    Das Auto brachte sie nach Denver, wo es mit einem letzten Schnaufen verschied. Sie ließ es auf dem belebten Freeway stehen, marschierte zum nächsten McDonald’s und sah bei einem Big Mac die Zeitungsinserate nach einer Wohnung durch.
    In einem älteren Stadtviertel fand sie genau das, was sie sich vorgestellt hatte. Das Haus gehörte einer Witwe, die ihre Rente aufbesserte, indem sie ein Apartment über der Garage vermietete. Von dort aus konnte man zu Fuß zu der Außenstelle der öffentlichen Bücherei gelangen, in der Kendall eine Aushilfsstellung fand.
    Sie arbeitete bis spät in den Abend, schloß keine Freundschaften. Nicht mal einen Telefonanschluß ließ sie sich legen. Als ihre Schwangerschaft nicht mehr zu leugnen war, beantwortete sie höfliche Fragen nach dem Vater so kurz angebunden, daß niemand Lust

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