Die Zeugin
zwei auch aussehen mochte.
Es überraschte ihn nicht, daà sie wieder türmen wollte. Was ihn überraschte, war der Schmerz, den sie ihm mit ihrem hinterhältigen Aufbruch zufügte. Er war wütend, aber vor allem verletzt.
Natürlich durfte er sein Urteil nicht durch persönliche Erwägungen beeinflussen lassen. Die Situation verlangte pragmatisches, emotionsloses, professionelles Handeln. Das war seine Pflicht, und die hatte er in den vergangenen Wochen weià Gott genug vernachlässigt, angefangen bei der nicht gemeldeten Routenänderung bis zum Liebesakt mit einer Gefangenen vor kaum zwei Stunden.
Kendall kehrte mit einer Packung Windeln zurück und legte Kevin hastig eine an. Sie nahm ihn auf den Arm, ging zum Stuhl
zurück und setzte sich. »Und, Marshal McGrath, stecken Sie mich jetzt in die Zelle, bei Wasser und Brot?«
»Spar dir die süffisanten Kommentare, Kendall. Das hier ist keine Komödie. Ich würde dich mit Handschellen an den Stuhl fesseln, wenn du sie mir nicht gestohlen hättest. Du muÃt sie zusammen mit meiner Waffe versteckt haben.«
»Ich konnte ja schlecht mit einer Polizeiausrüstung in der Hand im Krankenhaus aufkreuzen, oder?«
»Nein, wohl nicht. Das hätte Fragen zur Folge gehabt, auf die du keine Antwort wuÃtest. Deshalb hast du eine möglichst einfache Geschichte erzählt.«
»Ich habe es jedenfalls versucht.«
»Wann hast du beschlossen, ihnen zu erzählen, ich sei dein Mann? In der Notaufnahme?«
»Nein. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihnen erzählen würde. als der Arzt mich fragte, wer du seist, kam mir das einfach in den Sinn. Es klang vernünftig. Ich hatte ein kleines Kind. Wir reisten zusammen. Vom Alter her passen wir zusammen.« Sie sah ihn an und zuckte mit den Achseln, als läge die ZweckmäÃigkeit dieser Lüge auf der Hand.
»Und ich konnte das nicht bestreiten.«
»Genau. Die Unfallfolgen...«
»Als meine Frau konntest du über vieles bestimmen.«
»Das hat mich dazu veranlaÃt.«
»Was hast du ihnen über Marshal Fordham erzählt?«
»Daà sie deine Schwester sei.«
»Wie hast du ihnen das weisgemacht?«
»Es wurde einfach geglaubt.«
»Sie war hispanischer Abstammung.«
»Das wuÃten sie zu dem Zeitpunkt noch nicht.«
»Ach so. Stimmt. Wegen der Ãberschwemmung konnten sie ja das Auto nicht bergen.«
»Was sich ebenfalls zu meinem Vorteil auswirkte.«
»Ja, für dich ging alles nach Plan. Gut, daà Mià Fordham tot war, wie?«
»Das ist gemein!« fuhr sie ihn an.
»War sie tot?«
»Wie?«
»War sie schon tot, als das Auto in den Fluà stürzte?«
Sie wandte den Kopf ab und starrte lange die Wand am anderen Ende der Küche an. Er sah, wie sie kochte. Ihr Kiefer mahlte, und in ihren Augen standen Zornestränen, als sie wieder zu ihm blickte. »Fick dich.«
»Das hast du«, antwortete er nicht weniger verächtlich. »Oft sogar.« Ihre gehässigen Blicke trafen aufeinander. »Hast du Ruthie Fordham ertrinken lassen?«
Sie schwieg.
»Antworte mir, verdammt noch mal!« brüllte er. »War sie schon tot, als...«
»Ja! Ja! Sie starb bei dem Aufprall. Die Autopsie wird das bestätigen.«
Er wollte ihr so gern glauben, sie schien die Wahrheit zu sagen. Insgeheim betete er, daà sie es tat. Aber der Kriminologe in ihm miÃtraute ihr. Sie war eine verdammt gute Lügnerin.
»Warum hast du mich nicht in dem Auto ertrinken lassen?« fragte er. »Du hättest einfach weggehen können. Vielleicht hätte man unsere Leichen erst Tage später entdeckt, viele Meilen vom Unfallort entfernt. Es hätte noch eine Weile gedauert, bis man uns identifiziert hätte. Bis dahin hättest du längst über alle Berge sein können, Kendall, und die Spur wäre schon eiskalt gewesen. Warum hast du mich aus dem Wrack gezogen?«
Sie leckte eine Träne weg, die ihr in den Mundwinkel geflossen war, sah aber nicht mehr so wütend aus. Das hier waren Reuetränen. »Du hast mit mir geschlafen, mich geliebt, und
fragst mich, warum ich dir das Leben gerettet habe? Ein Menschenleben? Glaubst du tatsächlich, ich wäre fähig, einfach wegzulaufen und einen Verletzten sterben zu lassen? Kennst du mich so schlecht?«
Er beugte sich über sie. »Ich kenne dich überhaupt nicht. Du bist mir fremd, genauso
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