Die Zeugin
fremd wie damals, als ich in deinen Garten in Denver spazierte und dich zum ersten Mal sah.«
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie jedes seiner Worte zurückweisen.
»Du hast so oft gelogen, Kendall, du hast mir so viele Märchen erzählt, daà ich nicht mehr weiÃ, was wahr und was erfunden ist.«
»Kevin will trinken.«
Er fuhr auf. »Was?«
Das Baby kaute an Kendalls Busen herum und zupfte an ihrer Bluse. Seine Wut war mit einem Schlag verflogen. »Ach so. Mach schon.«
Noch vor wenigen Stunden hatte er sie geliebt. Ihren Leib mit Händen und Lippen erforscht. Doch jetzt brachte er es kaum fertig zuzusehen, wie sie die Bluse öffnete und dem hungrigen Säugling ihre Brust reichte. Sein Gewissen war so schlecht wie das eines Teenagers, der im Beichtstuhl eine Erektion bekommt, während er dem Priester von seinen fleischlichen Sünden erzählt.
Es war fast unmöglich, distanziert zu bleiben, wenn er gleichzeitig zusehen muÃte, wie sie ihr Baby stillte. Glücklicherweise brauchte er das auch nicht, weil ihn Kendall nun ihrerseits mit einer Frage aus dem Konzept brachte.
»Wer ist Lisa?«
»Woher kennst du sie?«
»Du sprichst im Schlaf. Ein paarmal hast du ihren Namen gemurmelt. Wer ist sie? Deine Frau? Bist du verheiratet?«
Es kam ihm komisch vor, daà sie sich deswegen den Kopf zerbrach, aber sein Lachen verebbte sofort wieder. »Du entführst einen Bundesbeamten und machst dir Sorgen, ob du Ehebruch begehst?«
»Bist du verheiratet?«
»Nein.«
»Wer ist Lisa dann?«
»Sie ist... eine Frau.« Kendall sah ihn weiter an, wartete auf eine Ergänzung. Er gab ihr einen kurzen Abrià dieser Beziehung. »Sie ist einfach verschwunden.« Er schnippte mit den Fingern. »Und es hat mir nichts bedeutet, genau wie damals, als ich sie kennenlernte.«
»Bloà ein warmer Körper fürs Bett.«
Augenblicklich ging er in die Defensive. »Ganz genau. Unsere Beziehung war so locker, wie eine Beziehung nur sein kann. AuÃerdem war es dir egal, ich habe im Schlaf von ihr gesprochen, aber das hat dich nicht davon abgehalten, mit mir zu bumsen.«
»Daran bist du genauso schuld wie ich.«
»Wohl kaum. Ich habe nicht darum gebeten, daà du mich in dein Leben hineinziehst. Im Gegenteil, ich habe Jim die Hölle heià gemacht, weil er dich mir aufgehalst hat. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dich schon in Dallas abgehängt. Warum hast du mich da reingezogen, Kendall?«
»Mir blieb nichts anderes übrig, hast du das vergessen?« fauchte sie zurück. »Ich habe versucht, mich aus dem Krankenhaus zu schleichen, aber du hast mich aufgehalten und darauf bestanden, mitzukommen.«
»Du hattest oft genug Gelegenheit, mich loszuwerden, bevor wir hier gelandet sind. Jedesmal, wenn ich auf dem Klo war, zum Beispiel. Warum bist du da nicht einfach losgefahren?«
»Weil ich es nach längerem Nachdenken für zweckmäÃig
hielt, dich mitzunehmen. Selbst auf Krücken hast du mir und Kevin einen gewissen Schutz geboten.«
»Ich wollte ihn nicht mal anrühren, ich habe mich nicht in seine Nähe gewagt.«
»Das habe ich erst gemerkt, als wir hier waren.« Sie sah ihn nachdenklich an. »Es wollte mir einfach nicht in den Kopf. Wie kommtâs, daà du Kevin vom ersten Augenblick an abgelehnt hast?«
»Nicht nur Kevin. Jedes Baby.«
»Warum?«
Er schüttelte störrisch den Kopf, um ihr anzudeuten, daà er darüber nicht zu sprechen wünschte. »Wo sind wir hier genau? Wie heiÃt der Ort?«
»Morton. Wir sind im Osten von Tennessee, nahe der Grenze zu North Carolina.« Sie klärte ihn über das Haus auf. »Niemand auÃer GroÃmutter und mir kam je her. Ich wuÃte, daà das hier ein gutes Versteck wäre.« Sie sah zu ihm auf und fügte ernst hinzu: »John, ich kann auf keinen Fall nach South Carolina zurückkehren und gegen Gibb und Matt aussagen.«
»Ohne deine Aussage wird man sie nicht verurteilen können.«
Sie widersprach ihm mit einem energischen Schnauben. »Inzwischen hat Pepperdyne ein paar Akten in meinem Apartment in Denver gefunden. Ich hatte ein Jahr Zeit, sie zusammenzustellen. Sie sind vollständig, und sie enthalten eine Menge belastender Informationen über die führenden Mitglieder der Bruderschaft. Falls die Regierung sie nicht wegen Mordes verurteilen
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