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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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finde, er sieht ganz zufrieden aus.«
    Kevin hatte tatsächlich nie gesünder und glücklicher ausgesehen als in diesem Moment. Er gluckste fröhlich vor sich hin und spielte mit ihrem Ohrring. »Er ist es aber nicht«, fuhr sie ihn an. »Wir müssen ein andermal wiederkommen.«

    Sie marschierte zum Auto, weg von der Tankstelle, wo inzwischen bestimmt eine verwirrte und aufgebrachte Mrs. Williams auf sie wartete.
    Heute würde sie kein Auto mehr kaufen.
    Und sie würde heute nicht mehr verschwinden.

19. Kapitel
    Â»Ist Li ein chinesischer Name?«
    Der Gefängniswärter beantwortete Kendalls Frage, indem er die breiten Schultern hochzog. »Chinese, Japse, keine Ahnung. Für mich sehen die Schlitzaugen alle gleich aus.«
    Kendalls zorniger Blick prallte von ihm ab. Er schloß den kleinen Raum auf, in dem sie auf ihren neuesten Mandanten treffen würde. Als sie eintrat, sprang Michael Li, der Vergewaltigung angeklagt, auf.
    Â»Ich bleibe vor der Tür stehen«, knurrte der Wärter den Jungen an.
    Kendall machte dem Wachmann die Tür vor der Nase zu, drehte sich um und kam auf Li zu, der so steif vor ihr stand, daß ihr ein »Rührt euch« auf den Lippen lag. Nachdem sie sich vorgestellt und ihm die Hand gegeben hatte, bedeutete sie ihm, sich wieder hinzusetzen. Sie nahm ihm gegenüber Platz.
    Â»Kann ich Ihnen irgendwas holen lassen? Was zum Trinken zum Beispiel?«
    Â»Nein, Madam«, antwortete er gefaßt.
    Der achtzehnjährige Michael Li hatte ein praktisch bartloses, ebenmäßiges Gesicht und sauber geschnittenes, glattes schwarzes Haar. Er war klein und grazil. Mißtrauisch und neugierig zugleich beobachteten seine dunklen Augen, wie sie in ihre Aktentasche faßte und einen Notizblock mit Bleistift herauszog.
    Â»Im Gefängnis ist es nie angenehm«, bemerkte sie. »Und noch während ich das sage, ist mir klar, daß das eindeutig untertrieben ist.«
    Â»Waren Sie jemals inhaftiert?« fragte er.

    Â»Einmal«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Ich wurde festgenommen, weil ich dagegen protestierte, daß gewisse Bücher aus der örtlichen Bücherei entfernt werden sollten.«
    Er nickte scheinbar anerkennend.
    Â»Ich werde sofort Kaution für Sie beantragen.«
    Â»Das kann sich meine Familie nicht leisten.« Er sagte das unbewegt und würdevoll. »Ich will meinen Eltern nicht noch mehr zur Last fallen; dieses bedauerliche Mißverständnis ist auch so schon schlimm genug, Mrs. Burnwood.«
    Â»Wir werden bestimmt eine finanzielle Lösung finden.«
    Â»Wenn es geht, möchte ich vor allem weiter zur Schule gehen«, sagte er. »Ich muß meine Prüfungen unbedingt dieses Jahr schaffen.«
    Â»Sie sollen die Abschlußrede halten, stimmt’s?«
    Â»Genau.«
    Â»Ihre Eltern sind wahrscheinlich schrecklich stolz auf Sie?«
    Â»Ja, Madam, das sind sie. Mehrere Universitäten wollen mir ein Stipendium gewähren. Ich weiß noch nicht, welches ich annehmen soll.« Er blickte auf seine Hände und zupfte an einem losen Hautfetzen. »Aber nun wird sich dieses Problem vielleicht nicht mehr stellen.«
    Kendall hielt es für besser, vorerst nicht weiter über Mr. Lis Zukunft zu sprechen. Der Gedanke daran, was für ihn auf dem Spiel stand, wenn sie Schiffbruch erlitten, könnte ihn demoralisieren. Deshalb lenkte sie den weiteren Verlauf dieses Einführungsgesprächs so, daß sie ein Bild des jungen Mannes erhielt, den sie verteidigen sollte.
    Â»Sie nehmen an vielen schulischen Aktivitäten teil und sind Mitglied in einer ganzen Reihe von Organisationen, die National Honor Society eingeschlossen.«
    Â»Ja, Madam. Kim und ich haben uns sogar auf einer NHS-Reise nach Gatlinburg kennengelernt.«

    Â»Warum fangen Sie nicht einfach damit an und erzählen mir alles der Reihe nach?«
    Während sie die Sehenswürdigkeiten der Stadt in den Bergen Tennessees besichtigten, hatten er und seine Klassenkameradin Kimberly Johnson angefangen, »miteinander zu gehen«.
    Â»Danach trafen wir uns regelmäßig. Aber ich habe sie nie von zu Hause abgeholt. Wir haben uns immer irgendwo verabredet. Sie meinte, ihre Eltern würden es nicht gutheißen, daß sie mit mir geht. Sie halten mich für einen Ausländer.«
    Plötzlich leuchtete zorniger Stolz in seinen Augen auf. »Ich bin Amerikaner , genau wie Kim. Genau wie Mr. Johnson.

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