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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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machte. Man würde sie nicht hören. Die Männer sangen weiter den Choral, als wollten sie den frommen Worten des Textes Hohn sprechen.

    Eine Schlingpflanze ließ sie stolpern und beinahe stürzen. Automatisch preßte sie sich schützend die Hand auf den Bauch. Sie wußte, daß sie auf ihr Baby aufpassen, langsamer gehen mußte. Aber zugleich mußte sie sich beeilen. Wenn sie die Behörden sofort benachrichtigte, konnten die Männer noch am Ort ihres grausigen Verbrechens verhaftet werden.
    Â»Mein Gott«, hauchte sie, als sie daran dachte, welche Wogen diese Verhaftung in der Gemeinde schlagen würde. Wie hatte Herman Johnson, den die meisten für einen krakeelenden Nichtsnutz hielten, die Honoratioren ihrer Gemeinde dazu überreden können, bei so unfaßbarer Unmenschlichkeit mitzumachen?
    Schnell, aber nicht mehr kopflos versuchte Kendall den Weg zurückzuverfolgen, den sie gekommen war, aber das verhinderte die Dunkelheit; wegen der sah sie die Mulde auf ihrem Weg auch erst, als es schon zu spät war.
    Sie verlor den Tritt, stürzte vornüber, landete auf dem Bauch und schlug hart auf. Der Sturz preßte ihr die Luft aus der Lunge, deshalb mußte sie ein paar Sekunden liegenbleiben, ehe sie wieder zu Atem kam.
    In diesem Augenblick stieg ihr ein widerwärtiger Gestank in die Nase, der sie würgen ließ. Im selben Moment merkte sie, daß sie nicht im Dreck, sondern auf Stoff lag. Sie drückte sich mit den Handballen hoch und richtete sich langsam auf. Und dann sah sie Bama.
    Die Hälfte seines Gesichts fehlte, und die andere Hälfte war bereits weitgehend zersetzt. Eine Augenhöhle war leer bis auf die wimmelnden Insekten, die hier ihr Festmahl hielten.
    Â»O mein Gott, o mein Gott.« Kendall wich jämmerlich wimmernd zurück und erbrach sich auf den Boden.
    Dann starrte sie, immer noch auf Händen und Knien, auf die verwesende Leiche, die man offensichtlich nicht tief genug vergraben
hatte, um sie vor Aasfressern zu schützen. Die Tiere hatten Fleisch von Bamas Skelett gerissen, aber sie hatten ihn nicht getötet. Er war durch einen Schuß gestorben. In der noch vorhandenen Stirnhälfte klaffte ein schwarzes, fliegenumsummtes Loch.
    Selbstmord? Wohl kaum. War es Zufall, daß Bamas Leiche so nah an einer Hinrichtungsstätte lag? Kendall hegte wenig Zweifel daran, wer ihn getötet hatte.
    Ihre Knie wollten sie nicht mehr tragen, trotzdem zwang sie sich aufzustehen. Sie stieg über Bamas entwürdigte Überreste hinweg und tappte weiter blind durch den Wald, bis sie schließlich die Straße erreichte. Sie war vom Weg abgekommen, doch ihr Wagen befand sich in Sichtweite. Froh, daß sie den Motor hatte laufen lassen, keuchte sie darauf zu. Dadurch würde sie Zeit sparen. Außerdem wußte sie nicht, ob sie mit ihren zitternden Händen den Schlüssel ins Zündschloß bekommen hätte.
    Sobald sie gestartet war, begann sie ihr weiteres Vorgehen zu planen. Um in die Ortsmitte zu gelangen, mußte sie an ihrem Haus vorbei. Warum rief sie den Sheriff nicht von dort aus an? Vielleicht – bitte, lieber Gott – war Matt schon daheim. Sie brauchte ihn. Gemessen an dem, was sie eben mitangesehen hatte, verblaßte sein Seitensprung mit Lottie Lynam zur Bedeutungslosigkeit.
    Den Blick starr auf die Straße gerichtet und das Steuer fest umklammert, versuchte sie, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihr lag, doch immer wieder schob sich vor ihre Augen das Bild von Michael Li am Kreuz. Wieder und wieder hörte sie die Männer jubeln, als ihm seine Genitalien in den Mund gestopft wurden.
    Und Bama. Der gute, freundliche Bama, der für jeden ein nettes Wort übrig gehabt hatte, der das Wetter so erstaunlich genau vorhersagen konnte. Zweifellos hatte man ihn hingerichtet,
weil man ihn als Schandfleck für den Ort betrachtete. Er war eine Belästigung, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft, ein schlechtes Vorbild für die Kinder von Prosper.
    Mein Gott, wie viele andere Unerwünschte waren wohl noch auf diese unsägliche, barbarische Weise beseitigt oder bestraft worden?
    Billy Joe Crook? Bestimmt! Er war ein Dieb, dafür hatte man ihm den Arm abgetrennt. Wer würde schon die tragische Geschichte von dem unvorhergesehenen Unfall bestreiten? Billy Joe bestimmt nicht, denn dessen Leben war in akuter Gefahr, sollte er enthüllen, daß dieser Unfall in Wahrheit von den

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