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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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oft mein Terminus Est getragen hatte. Die Sommersonne verbreitete jene besonders wohlige Wärme, die man empfindet, wenn der erste kühle Hauch in der Morgenluft liegt. Ich genoß sie und hätte sie und die Ruhe und Einsamkeit obendrein noch mehr genossen, hätte mich nicht der Gedanke geplagt, was ich Dorcas sagen sollte, falls ich sie fände, und was sie mir sagen würde.
    Hätt’ ich’s nur geahnt, dann hätt’ ich mir diese Sorge sparen können; ich begegnete ihr früher, als ich mir erträumt hätte, und sagte nichts zu ihr; auch sie sagte nichts zu mir – ja sah mich offenbar gar nicht.
    Die in Ufernähe großen und massiven Bauten waren längst von kleineren, verfallenen Häusern abgelöst worden, die offenbar einst Läden und Wohnungen enthalten hatten. Ich weiß nicht, was mich zu dem ihren geführt hat. Es war kein Weinen zu hören, obwohl vielleicht das Knarren einer Türangel oder das Knirschen einer Schuhsohle an mein Ohr gedrungen war. Vielleicht war es lediglich der Duft der Blüte, die sie trug, denn als ich sie erblickte, steckte in ihrem Haar eine weiße Lilie, eine getüpfelte, süß wie die sommersprossige Dorcas von einst. Sicherlich hatte sie die Blüte zu diesem Zweck mitgebracht und die verwelkte Mohnblume herausgenommen und weggeworfen, als sie ihr Boot festmachte. (Aber nun greife ich vor.)
    Ich versuchte, von vorne in das Gebäude einzudringen, aber die morschen Dielen waren stellenweise durchgebrochen, wo darunter die Gewölbebögen des Fundaments eingestürzt waren. Der Lagerraum im hinteren Teil war noch unzugänglicher; der stille, schattige, von grünen Farnen bedeckte Weg war einst eine gefährliche Gasse gewesen, so daß die Ladenbesitzer winzige Fenster oder gar keine eingebaut hatten. Dennoch fand ich eine schmale Tür, unter Efeuranken versteckt; eine Tür, deren Eisen zerfressen war wie Zucker im Regen und deren Eichenfüllung modrig zerfiel. Eine noch fast ganze Treppe führte zum Stockwerk darüber.
    Sie kniete mit dem Rücken zu mir. Sie war immer schlank gewesen; nun erinnerten mich ihre Schultern freilich an eine hölzerne Stuhllehne, über die man ein Leibchen gehängt habe. Ihr Haar von der Farbe matten Goldes war unverändert – wie bei unsrer ersten Begegnung im Garten des Ewigen Schlafes. Der Greis, der dort den Nachen über den See gestakt hatte, lag vor ihr aufgebahrt; sein Buckel war so gerade, sein Gesicht im Tod so jugendlich, daß ich ihn kaum wiedererkannte. Neben ihr standen auf dem Boden ein Korb – nicht klein und nicht groß – und ein verstöpselter Wasserkrug.
    Ich sagte nichts und ging, nachdem ich sie eine Weile betrachtet hatte. Wäre sie schon länger dagewesen, hätte ich sie angerufen und in die Arme geschlossen. Aber sie war soeben angekommen, und ich sah ein, daß dies nun ausgeschlossen sei. Während ich von Thrax zum See Diuturna zog und vom See in den Krieg, während ich in Vodalus’ Gefangenschaft war und über den Gyoll segelte, war sie hierher zurückgekehrt, wo sie vor vierzig Jahren oder so gelebt hatte, obwohl ihr Heim inzwischen mächtig gealtert war.
    Wie ich selbst – hochbetagt, vor Alter knirschend, wie eine Leiche vor Fliegen summt. Nicht daß der Verstand von Thecla und dem alten Autarchen oder den Hunderten, die im seinigen enthalten waren, mich alt gemacht hätten. Es waren nicht ihre Erinnerungen, sondern die meinen, die mich altern ließen, als ich an Dorcas dachte, wie sie zitternd neben mir auf dem schwankenden braunen Riedsteg gelegen hatte, wo wir beide, frierend und tropfnaß, aus Hildegrins Flasche getrunken hatten gleich zwei Kindern, die wir eigentlich waren.
    Ich achtete nicht mehr darauf, wohin ich ging. Zunächst bog ich in eine lange, gerade Straße ein, in der lebhafte Stille herrschte; an ihrem Ende streifte ich dann ziellos umher. Nach einer Weile gelangte ich so an den Gyoll und sah, in den Strom hinausblickend, die Samru am Treffpunkt vor Anker liegen. Ein aus dem Meer heraufschwimmener Basilosaurus hätte mich nicht mehr verblüfft.
    Bald war ich von lächelnden Seeleuten umringt. Der Kapitän schüttelte mir die Hand mit den Worten: »Ich fürchtete schon, wir kämen zu spät. Im Geiste sah ich dich schon um dein Leben kämpfen, während uns noch eine halbe Meile vom Ufer trennte.«
    Der Maat, ein so abgrundtief blöder Mann, daß er zum Kapitän als Führer aufschaute, klopfte mir auf den Rücken und rief: »Er hätt’s ihnen schon gezeigt!«
     

 
Die Zitadelle des Autarchen
     
    Obschon mich jede

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