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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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klar, daß er mich testete, obgleich ich nicht wußte wie. »Ich will sie sehn«, sagte ich.
    Als ich mit den Schiavoni geritten war und unsere Armee im Gefecht erlebt hatte, fiel mir auf, was für einen schwachen Eindruck sie in der Masse erweckte: die Kavallerie wogte hin und her wie eine Welle, die mit Gewalt anbrandet, dann als Wasser sanft abfließt. Sogar die Peltasten mit ihren dicht geschlossenen Reihen und kristallenen Schilden hatten kaum beeindruckender als Zinnsoldaten auf einem Tisch gewirkt. Nun sah ich die festen Formationen unsres Feindes, die Vierecke, die festungsgroße Maschinen mitführten – hunderttausend Soldaten, Schulter an Schulter.
    Aber auf dem Schirm in der Mitte des Armaturenbretts blickte ich nun unter das Visier ihrer Helme, und die ganze Härte, die Kraft zerfloß in blankes Entsetzen. Es waren Greise und Kinder unter dem Fußvolk, und auch solche, die irre schienen. Fast alle hatten die tollen ausgehungerten Züge, die ich am Vortag beobachtet hatte, und mir fiel jener Mann ein, der aus den Reihen ausgebrochen war und seinen Speer in die Luft gewirbelt hatte, als er starb. Ich wandte mich ab.
    Der Autarch lachte. Sein Lachen war nun bar aller Freude; es klang flach wie eine Fahne, die im Wind knallt. »Hast du gesehn, wie sich einer umbringt?«
    »Nein«, versetzte ich. »Hast Glück gehabt. Ich seh’s oft, wenn ich sie mir anschaue. Sie werden erst bewaffnet, wenn das Gefecht unmittelbar bevorsteht, und viele ergreifen diese Gelegenheit beim Schopf. Die Lanzenträger treiben für gewöhnlich den Stiel ihrer Waffe in den weichen Boden und brennen sich dann mit dem Lichtstrahl den eigenen Kopf ab. Einmal sah ich zwei Schwertträger – einen Mann und eine Frau –, die eine Absprache getroffen hatten. Sie stachen sich gegenseitig nieder, und ich beobachtete, wie sie zuerst, das Schwert in der Linken, eins … zwei … drei zählten und … tot.«
    »Was sind das für Leute?« wollte ich wissen.
    Er warf mir einen Blick zu, der mir nichts sagte. »Was hast du gesagt?«
    »Ich fragte, was das für Leute sind, Sieur. Ich weiß, daß sie unsre Feinde sind, in den heißen Ländern des Nordens leben und, wie man sagt, von Erebus versklavt worden sind. Aber wer sind diese Leute?«
    »Bis jetzt wußtest du wohl gar nicht, daß du’s nicht weißt, nicht wahr?«
    Mein Hals brannte vor Durst, obwohl ich den Grund dafür nicht verstand. Ich entgegnete: »Mag sein. Ich hatte noch keinen zu Gesicht bekommen, bis ich ins Lazarett der Pelerinen kam. Im Süden erscheint einem der Krieg sehr weit entfernt.«
    Er nickte. »Wir haben sie halb so weit in den Norden getrieben wie sie uns einst in den Süden, wir Autarchen. Was für Leute das sind, wirst du rechtzeitig herausfinden … Was wichtig ist, ist, daß du’s wissen willst.« Er hielt inne. »Beide könnten uns gehören. Beide Armeen, nicht nur die eine im Süden … Würdest du mir raten, beide zu nehmen?« Während er sprach, bediente er einen Hebel, und der Flieger neigte sich, so daß das Heck in den Himmel und der Bug zur grünen Urth zeigte, als wollte er uns auf den umkämpften Boden schütten.
    »Ich verstehe nicht, was Ihr meint«, versetzte ich.
    »Die Hälfte dessen, was du über sie sagtest, war nicht richtig. Sie kommen nicht aus den heißen Ländern des Nordens, sondern vom Kontinent jenseits des Äquators. Aber du hast recht, wenn du sie Sklaven von Erebus nennst. Sie halten sich für die Verbündeten derer, die in der Tiefe lauern. In Wahrheit würden Erebus und seine Verbündeten sie mir geben, wenn ich ihnen unsren Süden gäbe. Dich und alle andern hergäbe.«
    Ich mußte mich an der Lehne des Sitzes festklammern, um nicht zu ihm vor die Füße zu purzeln. »Warum sagt Ihr mir dies?«
    Der Flieger richtete sich wieder auf, wie das Schiffchen eines Kindes in einer Pfütze schaukelnd.
    »Weil es bald erforderlich sein wird, daß du erfährst, wie andere gefühlt haben, was du fühlen wirst.«
    Mir fiel keine Frage mehr ein, die ich mich zu stellen getraut hätte. Schließlich meinte ich: »Ihr habt gesagt, Ihr werdet mir hier verraten, warum Ihr Thecla töten ließet.«
    »Lebt sie nicht in Severian?«
    Eine fensterlose Wand in meinem Verstand stürzte ein. »Ich bin gestorben!« schrie ich, und es wurde mir erst klar, was ich sagte, nachdem es ausgesprochen war.
    Der Autarch holte unterhalb des Armaturenbretts eine Pistole hervor und legte sie sich über den Schoß, als er sich mir zukehrte.
    »Die braucht Ihr nicht, Sieur«,

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