Die Zuckerbäckerin
von einem heiÃen Schwall von Gefühlen überwältigt, wieder liefen ihm Tränen über die Wangen.
Grete lächelte. »Das haben wir doch gut gemacht, nicht wahr?« Sie gab Leonard noch einige Anweisungen für die nächsten Stunden und verabschiedete sich dann mit dem Versprechen, spätestens am Mittag wieder vorbeizuschauen.
Leonard blieb alleine zurück. Bald hatte er das Kind wieder im Arm. Er hätte Lea in die für sie vorbereitete Krippe legen können, oder auch an Barbaras Seite. Nichts davon brachte er fertig. Zutiefst erschöpft und doch hellwach saà er mit dem Säugling auf der Küchenbank, während drauÃen die letzten Nachtwolken von dannen zogen. Wie eine Löwin hatte es gekämpft, das rothaarige Mädchen. Konnte es da einen anderen Namen für sie geben als Lea? Nein. Siewürde die Kraft einer Löwin brauchen, um durch ihr Leben zu kommen.
Leonard schaute hinüber zu Barbara. Sie schlief nun tief und fest. Ihr Gesicht war entspannt und schön wie selten, umrahmt von den noch schweiÃnassen, dunklen Haaren. Nichts deutete auf ihren bemitleidenswerten Zustand, ihre Krankheit, hin. Auf dem Tisch stand das Fläschchen mit dem weiÃen Pulver, das ihr in Zukunft die ärgsten Seelenqualen erleichtern sollte. Im Laden nebenan hörte er Josef wach werden. Er hoffte, der Bub würde noch eine Zeitlang brauchen, bis er sich aufraffte, um nach seiner Mutter und seiner Schwester zu schauen.
Kleine Lea! Vorsichtig wickelte Leonard das weiche Tuch fester um ihren Leib. Die Morgenstunden waren kühl und verrieten noch nichts von der Gluthitze des kommenden Tages. Eine Mutter, die dem Wahnsinn näher war als dem Leben, ein Bruder, der so teilnahmslos durchs Leben ging als schlafwandle er, und ein Vater, der bis vor wenigen Stunden geglaubt hatte, sein Herz in der Heimat gelassen zu haben â das war Leas Familie. Tausende von Meilen entfernt von Württemberg sollte sie aufwachsen. Als Russin? Als Württembergerin? Leonard wuÃte es nicht. Aber war das überhaupt wichtig? Eines wuÃte er ganz genau: Was auch kommen mochte, welche Widrigkeiten er mit Barbara auch zu überstehen hatte â er würde für Lea da sein. Seine Arme verkrampften sich, und die Hände ballten sich unter Leas Leib zu Fäusten. Sie war sein Fleisch und Blut, und es sollte nur einer wagen, zu behaupten, sie sei die Frucht des Wahnsinns â er würde es mit ihm zu tun bekommen!
30
W ährend Lea ihren Kampf ums Leben gewann, muÃte Tausende von Meilen davon entfernt in der alten Heimat ein anderes Lebewesen den seinen verlieren:
Schonungslos wurde die Frucht einer groÃen illegitimen Liebe aus Melia Feuerwalls Leib herausgekratzt, während Sonia ihre Hand hielt. Es war die gleiche Dachkammer, die gleiche Engelmacherin wie damals vor zwei Jahren, die die blutige Tat vollbrachte.
Den metallischen Geruch von Blut in der Nase, verzog Sonia das Gesicht. Ha, wie weit hatte sie es gebracht! Heute war sie es, die am Kopfende des abgedeckten Küchentisches saà und beruhigend auf die Unglückliche auf dem Tisch einredete. Mit einem Schaudern hörte sie wieder das schabende Geräusch der löffelartigen Geräte, die die bis zur Unkenntlichkeit verhüllte Frau benutzte, um Melia von ihrer ungewollten Last zu befreien. Diese wimmerte leise vor sich hin. Dicke, heiÃe Tränen liefen ihr in einem fort über das Gesicht, so daà man fast meinen konnte, sie bedauere den Akt, der an ihr vorgenommen wurde. Konnte das sein? Hätte sie womöglich das Kind am liebsten bekommen?
Sonia schüttelte sich innerlich wie ein nasser Hund. Melia hatte doch wirklich allen Grund, froh und dankbar zu sein, die Brut wieder loszuwerden! Sicher, die Angelegenheit selbst war lästig, aber was hätte sie mit einemBastard anfangen wollen? Noch dazu, wo sich sein Erzeuger, wer auch immer er war, nicht mehr blicken lie�
Sonia hatte genau aufgepaÃt: Es waren zwei Wochen vergangen, seit Melia ihr von ihrer miÃlichen Lage berichtet hatte. Und kein Herr hatte sie seitdem besucht! Auch die Hofschauspielerin selbst war zu keinem Rendezvous aus dem Haus gegangen, sondern hatte ihre Räumlichkeiten nur zur abendlichen Vorstellung verlassen. Täglich hatte sie Sonia zu sich gerufen, um zu erfahren, ob diese endlich nun Namen und die Adresse der Engelmacherin ausgekundschaftet hatte.
Obwohl Sonia sich gleich am nächsten Tag
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