Die Zuckerbäckerin
zeichneten sich auf Wilhelms Gesicht ab. »Wenn ich Dich unterbrechen darf â¦Â«
»Aber ja doch. Wir können gern später weitersprechen, wenn dir im Augenblick nicht der Sinn danach steht.« Rasch erhob sich Katharina von einem der Besucherstühle, die vor Wilhelms Schreibtisch plaziert waren. Als sie um das riesige Schreibmöbel herumging, versuchte sie ein besänftigendes Lächeln, obwohl sie das Gefühl hatte, innerlich von all den Neuigkeiten, die sie mit sich herumtrug, bersten zu müssen. Sie brannte darauf, Wilhelms Meinung zu den ihrer Ansicht nach geradezu revolutionären Gedanken zu hören, die sie in die Tat umzusetzen bereit war. Nach ihrem Gespräch mit der Küchenmagd hatte sie die letzten Tage damit verbracht, mit ihren Beratern eine neue Strategie auszuarbeiten. Nun wollte sie ihre weitere Vorgehensweise unbedingt von Wilhelm absegnen lassen. Da es dabei um hochoffizielle Angelegenheiten und nicht allein um ein Gespräch zwischen Eheleuten ging, hatte sie sich bei Wilhelms Privatsekretär einen ebenso hochoffiziellen Termin beim König geben lassen. Daà Wilhelm sich einfach so Zeit für sie genommen hätte, daran glaubte Katharina längst nicht mehr. Nach wie vor dominierten die andauernden Verfassungskämpfe seinen Tagesablauf, und noch immer schien keine Einigung in Sicht zu sein. Ganzim Gegenteil, der Landtag trotzte seinem neuen König nicht minder als dem alten.
Statt also wie jeden Nachmittag um diese Zeit bei der kleinen Marie zu sein, war Katharina in seinem riesigen Amtszimmer erschienen. Doch Wilhelms Miene nach zu urteilen sah es danach aus, als habe sie die Spielstunde mit ihrer Tochter umsonst geopfert.
Katharina sann kurz darüber nach, ob sie ihren Gatten auf die schweren Unruhen ansprechen sollte, die den ganzen Tag über in der Stadt getobt hatten. Laut ihren Beratern war es fast unmöglich gewesen, durch die engen Gassen der Innenstadt zu gelangen, ohne dem wütenden Mob in die Arme zu fallen. Ein ganz wilder Haufen hatte scheinbar sogar versucht, das Sitzungsgebäude, in dem die Verfassungsdiskussionen stattfanden, zu stürmen. Erst als Wilhelm Militärpatrouillen eingesetzt hatte, waren die aufgebrachten Menschen auseinandergestoben. Nein, es war besser, es nicht zu erwähnen, entschied Katharina. Sein Kopf war wahrscheinlich schon voll genug mit all dem Ãrger. Als Wilhelm nun jedoch wieder das Wort ergriff, war sie von seinen ÃuÃerungen mehr als überrascht.
»Es geht nicht darum, jetzt oder erst später über deine Pläne zu sprechen. Es geht um deine Pläne im allgemeinen und besonderen. Und darum, daà du mit deiner arglosen und so bemühten Wohltätigkeit Lawinen freitrittst, von deren Existenz du noch nicht einmal etwas ahnst!« Seine Stimme klang wieder etwas ruhiger, dennoch war der gereizte, streitbare Unterton nicht zu überhören. Ruhelos ging er zum Fenster, dann drehte er sich abrupt um. »WeiÃt du eigentlich, welche Auswirkungen die Aufhebung des Auswanderungsverbotes hat?«
Betroffen starrte Katharina ihren Mann an. Sie wuÃte weder, worauf er hinauswollte, noch, wie sie seine feindseligen Blicke deuten sollte.
»Nun, ich will es dir sagen: Mehr als dreitausend Menschen haben sich letztes Jahr gemeldet, dieses Jahr sind es schon über elftausend â und das Jahr ist noch nicht einmal zur Hälfte herum!«
»Aber das ist doch wunderbar! Wie wird sich Alexander freuen, daà sein groÃzügiges Angebot so in Anspruch genommen wird!« Vor ihren Augen sah sie Hunderte von kleinen Gehöften wie Pilze aus dem fruchtbaren Boden von Kasachstan, Tadschikistan oder Kirgisien schieÃen. Sie sah lachende und zufriedene Bauern, die ihr Feld bestellten und abends an einem Tisch mit ihren russischen Nachbarn bei Brot und Wein das Leben feierten. Sie wandte sich Wilhelm zu, sah in sein gequältes Gesicht, und das schöne Bild vor ihren Augen zerplatzte wie eine Seifenblase. »Was ist, geliebter Gatte? Warum macht dich der Gedanke, daà so viele Württemberger eine neue Heimat bekommen werden, nicht genauso glücklich wie mich?«
»Weil ihre Heimat hier ist! Hier in Württemberg! Und wenn du es genau wissen willst: Der Gedanke, daà sie ihre Heimat verlassen, bringt mich fast um. Welch ein Verlust für unser Land! Wer sich zur Auswanderung entschlieÃt, hat Mut und Tatkraft. Die schlechtesten Württemberger sind
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