Die Zufalle des Herzens
Morgan.
»Gut«, sagte sie. »Allerdings wirst du morgen daran weiterarbeiten müssen, es ist nämlich Zeit, ins Bett zu gehen.«
Grummelnd räumte Morgan das Heft weg. Sie nahm ihren Schlafanzug vom Fußende des Bettes und fing an, sich auszuziehen. Dana hob ein liegengebliebenes T-Shirt vom Boden auf und verstaute es im Schrank. Als sie sich wieder umdrehte, schlüpfte Morgan gerade in ihr Oberteil. Dana bewunderte die Glätte ihrer Haut und ihren geraden Rücken, wie der Stängel einer Blume kurz vor der Knospung. Morgan zog sich den Schlafanzug herunter und kuschelte sich unter ihre zerwühlte Decke.
»Zähne«, sagte Dana.
»Schon geputzt.«
»Wirklich?«
»Ich bin nicht mehr fünf«, murrte Morgan. »Ich weiß, wie wichtig Zähneputzen ist. Sonst sehen sie nämlich bald ganz gelb und fies aus.«
Immer geht es ums Aussehen, dachte Dana, während sie die seidige Kante der Bettdecke straff zog.
»Ähm«, machte Morgan, unentschlossen blinzelnd. Sie zog ihr Hershey-Kissen näher zu sich.
»Ja?«
»Ähm, ich glaube, Tina … ich glaube, Tina könnte …, na ja, sie könnte es auch tun.«
Dana zuckte bei der Erwähnung von Tinas Namen zusammen. »Könnte was tun?«
Morgan streckte die Zunge heraus und bewegte ihren Finger darauf zu. Danas entsetzte Miene ließ das Mädchen zurückschrecken. »Ich könnte mich täuschen«, beeilte sie sich zu sagen. »Ich hab sie nur ein Mal gehört!«
»War ihr da schlecht?«, fragte Dana, bemüht, sich wieder zu fangen. »Hatte sie sich was eingefangen?«
»Kann sein … ich glaube aber nicht. Sie hat ein paar Salzbrezeln gegessen, und dann sind wir einkaufen gegangen. Ich glaube, sie weiß nicht, dass ich sie gehört habe.« Morgans Hand fuhr an dem Hershey-Kissen auf und ab. »Was willst du jetzt machen?«
»Ich weiß es noch nicht genau, mein Schatz«, sagte Dana und versuchte, sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen. »Das ist aber nicht dein Problem. Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast, und jetzt ist es an den Erwachsenen, sich einen Reim darauf zu machen.« Rasch gab sie Morgan einen Kuss. Sie konnte es kaum erwarten, sich im Arbeitszimmer einzuschließen und zum Hörer zu greifen.
»Was diesen kleinen Ausflug angeht, habe ich eine endgültige Entscheidung getroffen, Kenneth, und nach allem, was Morgan mir eben erzählt hat, lautet sie klipp und klar Nein.« Nachdem sie das Gespräch wiedergegeben hatte, wartete sie auf seine kleinlaute Antwort.
Kenneth gab ein mattes Stöhnen von sich.
»Du hast also davon gewusst!«, explodierte sie. »Und hättest in Kauf genommen, dass unsere Kinder in Kontakt kommen mit …«
»Es ist nicht, was du denkst.«
»Klar«, sagte Dana, die Stimme vor Sarkasmus triefend. »Sie hat es nur dieses eine Mal gemacht, oder es ist irgendeine exotische Erkrankung, oder …«
Er kicherte humorlos, ein Geräusch, das Dana wie ein ganzes Ameisenheer die Wirbelsäule hinauffuhr. »Genau genommen ist es eine Erkrankung«, sagte er. »Namens Schwangerschaft.«
Dana schloss die Augen. Ihr war, als könnte sie jeden Moment von dem Drehstuhl kippen. »Ach. Du. Schreck«, hauchte sie. »Wie konntest du?«
»Wie ich konnte ? Na ja, auf dem üblichen Weg, nehme ich an, falls du es genau wissen musst.«
Dana hätte am liebsten aufgelegt, aber ihre Gliedmaßen waren wie eingefroren, und sie fühlte sich einer Ohnmacht nah.
»Warte«, sagte er, so als hätte sie irgendeine Wahl, als wäre sie zu irgendeiner Handlung fähig. »Ich muss … Es geht dich zwar eigentlich nichts an, aber ich möchte einfach, dass du weißt, dass ich das nicht geplant habe. Wirklich, ich bin genauso fassungslos wie … Und dann ist es eine denkbar schlechte Zeit, sich um einen weiteren Menschen zu kümmern, jetzt, wo die Firma in Schwierigkeiten steckt und die Kinder … so viel brauchen .« Seine Stimme brach, und Verzweiflung klang heraus. »Aber mein Gott, was soll ich machen ? Ich liebe sie, und ich kann sie nicht bitten … Sie würde es sowieso nicht tun, wozu also überhaupt darüber nachdenken?« Er atmete lang und kräftig aus. »Es ist, was es ist, und ich muss einfach damit fertigwerden.«
Eine Träne rann ihr übers Gesicht, und obwohl sie sich selbst und ihre Kinder viel mehr bedauerte als ihren untreuen Exmann, empfand sie doch unwillkürlich Mitleid mit ihm. Sie wusste nur allzu gut, dass er keine Kinder mehr hatte haben wollen. Wenn sie in der Vergangenheit die Rede darauf gebracht hatte, hatte er immer gesagt, zwei seien ihm vollauf
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