Die Zuflucht der Drachen - Roman
verknallt«, bemerkte Seth beiläufig.
Kendras Augen weiteten sich. »Du hast aber nichts zu ihm gesagt, oder?«
Seth zuckte die Achseln. »Die Kette hat ihn nicht erwürgt. Es scheint ihn ganz schön übel erwischt zu haben.«
Kendra umklammerte Seths Arm. War da nicht ein aufgeregtes Flackern in ihrem Blick? Einen Moment lang rang sie nach Worten. »Rede nicht mit Jungs über mich. Niemals! Aus welchem Grund auch immer.«
»Ich wollte dich nur ein wenig ablenken.«
Sie griff noch fester zu. »Ich weiß deine Absicht in gewisser Weise zu schätzen, aber glaub mir, ich bin dadurch nicht weniger gestresst.«
»Du solltest ihn einfach küssen und es hinter dich bringen.«
Empört ließ Kendra ihn los. Seth unterdrückte ein Lachen.
Die Biegung in ihrem Rücken schirmte jedes Tageslicht ab, aber mittlerweile sorgten leuchtende weiße Steine in den Wänden und an der fernen Decke für ausreichend Helligkeit, auch wenn das ungleichmäßige Licht die dunklen Ecken des Gewölbes nicht erreichte.
Vor ihnen bedeckte ein See den Boden der Schlucht, auf dessen glatter Oberfläche sich das Licht der Leuchtsteine spiegelte. Das gegenüberliegende Ufer war viel schmaler als das, an dem sie standen, und gleich hinter dem See ging die Schlucht in einen hohen, schmalen Gang über, der ein wenig an die Krebsgangkluft erinnerte. Ein über hunderte von Metern an der linken Schluchtwand entlanglaufendes Sims bildete den einzigen Weg an dem See vorbei.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Trask. »Wir werden in einen Hinterhalt geraten. Auf dem Sims sitzen wir in der Falle.«
»Wir sollten in Zweiergruppen über das Sims gehen«, schlug Dougan vor. »Auf diese Weise können wir uns zumindest gegenseitig Deckung geben.«
»Und vermeiden, dass alle von einem einzigen Schwall Drachenatem weggeputzt werden«, stimmte Trask zu. »Okay, ich und Gavin gehen als Erste. Dann Mara und Seth. Dann Kendra und Tanu. Dann Mendigo und Dougan.«
Seth knetete seine Finger, als sich Trask mit Gavin auf den Weg über das Sims machte. Sie bewegten sich leicht geduckt, gingen schnell und mit leisen Schritten.
»Halt deine Armbrust bereit«, flüsterte Dougan Seth ins Ohr. Nickend nahm Seth die Armbrust vom Rücken und machte sie schussbereit.
Als Trask auf der gegenüberliegenden Seite des Sees seine Armbrust über dem Kopf schwenkte, liefen Mara und Seth los. Der steinerne Pfad stieg in flachem Winkel an, sodass sie sich bald gut drei, dann eher fünf Meter über dem dunklen, stillen See befanden. An manchen Stellen war das Sims keinen Meter breit, aber die meiste Zeit bestand keine Gefahr herunterzufallen. Sie bewegten sich schnell und versuchten, nicht zu fest aufzutreten. Seth zuckte jedes Mal zusammen, wenn Erdbrocken oder Kieselsteine unter seinen Füßen knirschten.
Der letzte Teil des Simses senkte sich wie eine Rampe und endete am gegenüberliegenden Ufer des Sees. Als sie es erreicht hatten, gab Trask abermals mit seiner Armbrust ein Zeichen, und Kendra lief mit Tanu los. Seth blickte über den düsteren See und lauschte, entdeckte jedoch nichts Bedrohliches.
Als Letzte machten sich Dougan und Mendigo mit schnellen Schritten auf den Weg. Seth und die anderen hatten sich in Richtung des schmalen Durchgangs zurückgezogen, der tiefer in die überdachte Schlucht hineinführte. Trask war in der Nähe des Wassers geblieben. In seiner überdimensionalen Armbrust lagen zwei Bolzen mit Adamantspitzen. Als Dougan und Mendigo das Ufer erreicht hatten, löste sich Seths Anspannung endlich.
Und dann begann der See zu kochen. Kreischende Köpfe schossen in die Höhe, Wasser regnete auf sie herab, und Dougan und Mendigo rannten vom Ufer weg, was ihre Beine hergaben. Im Rennen nestelte die Marionette am Griff des riesigen Schwerts herum, dessen Spitze kratzend und klirrend über den Stein schleifte.
Trask trat indessen einen Schritt auf den See zu und zielte mit der Armbrust. Tanu führte Kendra, Seth und Mara tiefer in die vermeintliche Sicherheit des Gangs. Gavin flitzte zum Ufer, schwenkte einen Arm, schüttelte seinen Speer und kreischte in der Drachensprache.
Als die dunkelgrüne Hydra ihren massigen Körper an Land wuchtete, riss Seth vor Staunen die Augen auf. Das gewaltige Geschöpf hatte nicht weniger als fünfzehn Köpfe, die sich auf langgestreckten Schlangenhälsen hin und her wiegten. Drei davon endeten in schwarzen Stümpfen. Die grimmigen Köpfe waren ungefähr so groß wie Särge, wobei sie sich in Größe und Form jeweils leicht
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