Die Zuflucht der Drachen - Roman
aber sie konnte den Kopf nicht abwenden.
Und dann verwandelte sich Gavin. Es war keine allmähliche Verwandlung. Er schwoll plötzlich an, verdreifachte seine Größe wieder und wieder, ihm wuchsen Flügel und ein Schwanz, Hörner und Klauen, bis er sich zu einem gewaltigen schwarzen Drachen aufgebläht hatte, der seinen gelben Widersacher winzig erscheinen ließ. Die silberne Halskette dehnte sich, blieb aber an seinem schuppigen Hals.
Ein blendendes Flammeninferno brach aus dem Maul des schwarzen Drachen, fegte den gelben vom Sims und tauchte die ganze Umgebung in glühende Hitze. Dann breitete er seine Flügel aus, schoss in die Lüfte und stürzte hoch über ihnen auf den grünen Drachen zu. Der grüne Drache stieß Gavin seinen Feueratem entgegen, doch der Strom, der von Gavin zurückschoss, glich eher geschmolzenem Gold als normalen Flammen, und der grüne Drache drehte ab. Dann kehrte der schwarze Drache zurück und landete auf dem Sims, Steine zerbröselten unter seinem riesigen Körper.
Kendra konnte sich immer noch nicht rühren. Konnte das wirklich Gavin sein? Er war gigantisch groß! Ein Panzer aus dunklen, ölig glänzenden Schuppen bedeckte Flanken und Rücken, und der Bauch sah aus wie mit schwarzen Juwelen verkrustet. Schreckliche Stacheln ragten aus dem gewaltigen Schwanz und dem Rückgrat. Seine Klauen waren gebogen wie Sicheln, und die grimmigen Augen brannten wie Magma. Ihr Freund war kein Drachenbruder. Er war ein echter Drache!
Auf der anderen Seite der Schlucht sah Kendra den gelben Drachen aufsteigen. Die eine Flanke war schwarz, und der Flügel auf dieser Seite machte einen ziemlich ramponierten Eindruck, aber der Drache konnte noch fliegen. Nun schwenkte er in ihre Richtung. Der grüne Drache schien nun kehrtzumachen. Der schwarze Drache musterte seine zurückkehrenden Gegner, dann beugte er den großen Kopf herab und verschlang Dougan mit einem einzigen schnellen Biss.
Durch ihre erstarrten Lippen stieß Kendra einen ungläubigen Schrei aus.
Mara warf Kendra den Rucksack zu. Er traf sie an der Schulter und fiel zu Boden.
Der schwarze Drache schlug mit einem Vorderbein nach Mara, die dem schnellen Hieb nicht mehr ausweichen konnte und über die Felskante hinabstürzte. Das andere Vorderbein jagte nun Kendra entgegen, und eine messerscharfe Klaue fuhr ihr über die Brust und schleuderte sie nach hinten. Mit ausgebreiteten Flügeln schoss der schwarze Drache in die Luft, seinen herannahenden Artgenossen entgegen.
Während das Drachengebrüll in ihren Ohren donnerte, betrachtete Kendra benommen den Riss in ihrer Bluse. Unter dem zerrissenen Stoff schien der Brustpanzer, den Seth ihr gegeben hatte, nicht einmal verkratzt zu sein. Ihr schwirrte der Kopf, und sie versuchte zu begreifen, was geschehen war. Ihr Atem ging schnell und flach. Gavin war nicht nur ein Drache, er hatte auch seine Freunde angegriffen! Er hatte Dougan gefressen und Mara getötet!
Erst als sie mit den Fingern über den Adamantpanzer fuhr, merkte Kendra, dass sie sich bewegen konnte. Sobald sich Gavin in die Luft erhoben hatte, war die Drachenangst verschwunden. Während die Drachen über ihr durch die Luft wirbelten und kämpften, richtete Kendra sich auf. Der Rucksack lag neben ihr. Und die Krebsgangkluft war jetzt unbewacht.
Vor Adrenalin zitternd, packte Kendra den Rucksack, warf sich einen Riemen über die Schulter und rannte auf den Felsspalt zu. Im Zickzackkurs lief sie zwischen den Mulden hindurch, in denen sich brodelnde Teiche aus flüssigem Gold gesammelt hatten. Als über ihr endlich die hohe Schlucht aufragte, blickte sie in den Himmel, wo hoch oben die beiden Drachen mit Gavin kämpften. Die Sonne war gerade hinter den Bergen versunken. Flammenfontänen erhellten den Abendhimmel. Gavins Gegner waren auf Abstand voneinander gegangen – in welche Richtung er sich auch wandte, immer hatte er einen seiner Feinde im Rücken, der hinter ihm herjagte und versuchte, ihn zu rösten. Fasziniert von diesem tödlichen Tanz blieb Kendra im Eingang der Krebsgangkluft stehen. Schnell wurde ihr klar, dass es gar nicht so leicht war, mit Drachenfeuer zu treffen, wenn sowohl Angreifer als auch Angriffsziel durch die Luft rasten.
Je länger der Kampf dauerte, desto weiter entfernten sich die Drachen. Aber Kendra wusste, dass sie jeden Moment zurückkommen konnten. Sie drehte der Drachenschlacht den Rücken zu und eilte tiefer in die Kluft. Der Gang war viel zu schmal für die Ungeheuer, aber Kendra wollte
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