Die Zuflucht der Drachen - Roman
niemanden aufweckte, müsste sie noch einige Stunden für sich haben.
Kendra kehrte in ihr Zimmer zurück und untersuchte den Rucksack. Konnte dies irgendein Trick sein? Spielte der Sphinx seine Spielchen mit ihr? Oder war der Brief echt? Vielleicht wollte ihr wirklich jemand helfen. Warum sollten der Sphinx oder Torina auch auf diese Weise mit ihr Katz und Maus spielen? Sie war ihre Gefangene, Raffinesse überflüssig. Wenn der Brief echt war, sollte sie sich beeilen.
Kendra öffnete die kleine Tasche an der Vorderseite des Rucksacks. Sie schob die Hand hinein und spürte einen brennenden Stich, genau wie damals, als sie im Freizeitzentrum in die geheimnisvolle Schachtel gegriffen hatte. Statt die Hand zurückzuziehen, schloss sie die Finger um die Frucht und holte sie heraus.
Der Stechbulbus hatte einen stumpfen, leicht violetten Farbton und eine raue, faserige Schale. Kendra war keine Expertin, aber die Frucht schien echt zu sein. Auch der Stich hatte sich echt angefühlt. Sie legte den Stechbulbus in der Nähe des Fensters an die Wand und wandte sich wieder dem Rucksack zu.
Würde sie wirklich hineinpassen? Kendra öffnete die große Schnalle oben auf dem Rucksack und schaute hinein. Statt in das Innere eines Lederbeutels zu blicken, sah sie einen Raum mit abgewetztem Schieferboden und rissigen Wänden aus Lehmziegeln. An zwei der Wände waren verwitterte Kisten und Fässer aufgestapelt. Neben der Öffnung, durch die sie spähte, waren eiserne Sprossen angebracht, über die sie mühelos in den seltsamen Raum gelangen konnte.
Kendra starrte erstaunt in das Kämmerchen hinab. Kannten die Wunder der Magie denn gar keine Grenzen? Sie überlegte, wer ihr ein solch unglaubliches Geschenk gemacht haben könnte, aber ihr fiel niemand ein. Welchen Nutzen hatte der Sphinx davon, wenn er ihr falsche Hoffnungen machte? Was, wenn sie wirklich einen geheimen Verbündeten hatte?
Kendra betrachtete die Frucht. Wie lange würde die Verwandlung wohl dauern? Sie wollte auf keinen Fall, dass eine zweite Kendra ohne Anweisungen herumlief. Der Verwandlungsprozess schien nur langsam voranzugehen. Bestimmt blieb noch genug Zeit, kurz in den Rucksack zu schlüpfen und den Raum zu erkunden.
Kendra steckte ihren Kopf in die Tasche. Was die Fässer wohl enthielten? Würde sie darin weitere nützliche Gegenstände finden? Sie zog die Öffnung des Rucksacks weit auf, kroch hindurch und kletterte die Leiter hinunter.
Auf dem Boden stand eine Laterne. Sie war aus, und Kendra schenkte ihr keine weitere Beachtung, denn ihre durch Feenzauber verstärkte Sehkraft genügte auch so. Der Raum war ungefähr drei Meter hoch, fünf Meter breit und sieben Meter lang. Drei der Wände hatten gleich unterhalb der Decke kleine Lüftungsschlitze. Vorsichtig ging Kendra zu den Gegenständen, die an der Wand aufgestapelt waren. Alles war mit Spinnweben bedeckt, sah alt und abgenutzt aus, und zwischen den chaotisch übereinandergetürmten Behältern lagen und steckten alle möglichen Gegenstände: ein zusammengerollter Teppich, ein alter Tennisschläger, der präparierte Kopf einer Antilope, ein Glas mit Murmeln, ein paar Angelruten, zerrissene Arbeitshandschuhe, mehrere schmutzige Rollen Einwickelpapier, ein ramponierter Korbstuhl, einige gerahmte Bilder, verrottete Seile, nicht benutzte Kerzen und eine zerkratzte Schreibtafel.
Nichts von alledem machte einen brauchbaren Eindruck. Kendra versuchte, eine der Kisten zu öffnen, aber der Deckel schien festgenagelt zu sein. Sie fand eine rostige Harke und hebelte damit den Deckel auf. Im Inneren waren graue Stoffballen.
Kendra versuchte es mit einem Fass, brach aber den Versuch ab, es aufzustemmen, als ihr der Geruch seines Inhalts in die Nase stieg. Was immer an Essbarem in dem Fass gewesen sein mochte, war vor langer Zeit verdorben.
Sie legte die Harke beiseite und trat zurück. Ihr war, als stöbere sie in einer seit langer Zeit nicht mehr benutzten Garage. Wenn sich hier irgendwelche nützlichen Dinge befunden hätten, wären sie in dem Briefchen wohl erwähnt worden.
Kendra ging wieder zur Leiter, stieg hinauf und schob sich durch die Öffnung des Rucksacks zurück in das dunkle Schlafzimmer. Sie schaute nach dem Stechbulbus und stellte fest, dass er mittlerweile die Größe eines Fußballs und sich etwas in die Länge gestreckt hatte.
Kendra zog sich um und suchte möglichst unauffällige und warme Sachen aus, in denen ihr die Kälte nicht so zu schaffen machen würde. Sie entschied sich für die
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