Die Zuflucht der Drachen - Roman
nie damit gerechnet, dass sich einmal eine solche Gelegenheit bieten würde«, überlegte er mit gerunzelter Stirn. »Aber unterm Strich denke ich, ich sollte besser bleiben. Ich weiß ja nicht einmal, wohin ich gehen sollte. Und ich kann mich von jetzt an nicht mehr darüber beklagen, hier gefangen gehalten zu werden.«
»Bist du dir sicher?«, fragte Kendra nach.
»Ja, ich bin mir sicher. Ich wünsche dir alles Gute. Brauchst du meine Hilfe?«
»Du musst nur Stillschweigen bewahren«, antwortete Kendra.
»Meine Lippen sind stumm. Viel Glück.«
»Danke, Haden.«
»Hast du auch Cody gefragt?«
»Noch nicht.«
Haden wirkte bekümmert. »Okay, okay. Selbst wenn er mitgeht, sollte ich besser bleiben. Das ist mein letztes Wort.«
»Wer weiß«, meinte Kendra und bewegte sich wieder zur Tür, »vielleicht funktioniert es ja gar nicht. Aber ich glaube, mein Plan ist gut.«
»Soviel ich höre, wirst du morgen in jedem Fall weggehen.«
»Was auch der Grund ist, warum ich heute Nacht verschwinden muss.«
»Viel Glück.«
»Dir auch.«
Kendra schlüpfte hinaus und schlich den Flur hinunter zu Codys Zimmer. Leise drückte sie die Tür auf.
»Wer ist da?«, rief Cody erschrocken.
»Ich bin’s nur, Kendra.«
»Kendra?«, wiederholte er, nur unwesentlich leiser.
»Nicht so laut«, zischte Kendra. »Ich will nicht erwischt werden. Ich muss dich etwas fragen, das nicht bis zum Morgen warten kann.«
»Natürlich, komm rein«, flüsterte er. »Tut mir leid. Du hast mich erschreckt.«
»Ich habe einen sicheren Weg hier raus gefunden. Ich verschwinde noch heute Nacht. Du könntest mitkommen, wenn du willst.«
Cody richtete sich auf und knipste die Leselampe an. Er hielt sich schützend die Hand über die Augen, bis sie sich an das Licht gewöhnt hatten. »Ich weiß, du machst dir Sorgen, weil du morgen mit dem Sphinx von hier fortmusst. Aber es gibt kein Entrinnen aus diesem Haus. Ein Fluchtversuch würde die Dinge nur noch schlimmer machen.«
»Es ist keine bloße Spinnerei«, beharrte Kendra. »Jemand von außen hat mir geholfen, und jetzt kenne ich einen absolut sicheren Fluchtweg. Ich rede von sofort. Du würdest mich nicht aufhalten, wenn du mitkommst, und es dürfte auch nicht allzu anstrengend werden. Willst du nun mitkommen oder nicht?«
»Hast du Haden gefragt?«
»Er hat abgelehnt.«
Cody nahm einen Schluck aus einem fast leeren Wasserglas, das auf dem niedrigen Tisch neben seinem Bett stand. »Wenn der Fluchtweg so sicher ist, wie du sagst, hätte ich nichts dagegen, von hier wegzukommen. Wenn es mir gelingt, draußen ein behagliches Plätzchen für Haden zu finden, könnte ich immer noch wiederkommen und ihn holen.«
»Also kommst du mit?«, fragte Kendra.
»Wenn ich auch noch zu der Überzeugung gelange, dass du eine wirklich verlässliche Fluchtmethode gefunden hast, werde ich mich dir anschließen, ja.«
»Zieh dich an und komm in mein Zimmer. Schnell und leise.«
Cody schwang die Beine unter der Decke hervor. Sie sahen weiß und dünn aus. »Ich werde gleich nachkommen«, versicherte er ihr.
Kendra lief den Flur entlang. Codys Verschwinden würde Fragen aufwerfen. Es gab keinen Stechbulbus, der ihn ersetzen konnte. Bestimmt würden sie Haden verhören, weil er und Cody einander so nahestanden. Würden sie dann Verdacht schöpfen, dass das Kendra-Duplikat nicht die echte Kendra sein könnte? Möglicherweise, aber wenn Cody mitkommen wollte, kam es nicht in Frage, ihn zurückzulassen.
Kendra kehrte in ihr Zimmer zurück und fand ihre Kopie auf dem Bett sitzend vor. Die überdimensionale Fruchthülse war verschwunden. »Was hast du mit der Hülse gemacht?«, fragte Kendra.
»Ich habe sie gesäubert und in den Rucksack geworfen«, antwortete das Duplikat. »Kommen die alten Knacker mit?«
»Cody«, antwortete Kendra. »Sein Verschwinden wird Fragen aufwerfen. Du wirst sie ganz schön an der Nase rumführen müssen.«
»Ich werde dafür sorgen, dass du stolz auf mich bist«, versprach die Kopie. »Sie werden keinen Verdacht schöpfen.«
Kendra war zuversichtlich, dass sie sich auf ihr Duplikat verlassen konnte. Immerhin war es ja fast so, als würde sie sich auf sich selbst verlassen. »Danke, ich bin mir sicher, dass du deine Sache großartig machen wirst.«
Kendra setzte sich neben ihrer Kopie aufs Bett. Sie musste länger auf Cody warten, als ihr lieb war, und wollte gerade nach ihm sehen, als er leise eintrat. Diffuses Licht vom Flur beleuchtete ihn schwach. Er trug einen
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