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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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der den Krankensaal jeden zweiten Tag besucht, hat recht lang an der Bettkante des Einarmigen gesessen.Ich bin fast sicher, dass er dabei auf seine Weise, Auge in Auge, Frage gegen Antwort, einen neuen Gefolgsmann gewonnen hat. Die wenigen Gefangenen, die unsere Truppen machen, lässt er zu sich bringen, fragt sie nach Eltern und Geschwistern, nach Sold und Verpflegung und will zuletzt stets wissen, ob sie in den Verbänden des Alten Ogo oder des Weißen Khan mit jenem Respekt behandelt worden seien, auf den jeder kämpfende Mann, egal auf welche Seite es ihn verschlagen hat, Anspruch erheben könne. Das ist inzwischen als ein Rumor durch die Membran der Front gesickert, und die beiden anderen Gnädigen Brüder mühen sich vergeblich, das Gerücht, die Zahl der Überläufer steige, als feindliche Propaganda abzutun.
    Als mir der Einarmige heute Morgen, während das halbe Lazarett am Lachen und Durcheinanderschreien war, Rasierschaum auf die Nase und auf den Schädel schmierte, verließ Frau Doktor Hu ihr Kabuff im hinteren linken Winkel des Krankensaals und erbat sich Ruhe. Sie nahm mich bei der Hand, um mich in ihr Kämmerchen zu führen. Dort steht eigens für mich ein Tisch, auf dem die Blätter liegen, die du aus deinem letzten Buch geschnitten hast. Unsere Ärztin achtet streng darauf, dass ich täglich eine Stunde Muße finde, um auf die Rückseiten, die du in kluger Voraussicht erstmals freigelassen hast, zu schreiben. Ich weiß nicht, ob dies mit Dorokin abgesprochen ist. Mir fehlt dein scharfes Auge für all das, was unsere sogenannten Zeitgenossen im Schilde führen und, vor unserer Nase oder hinter unserem Rücken, auf die Geleise der Zukunft schieben wollen. Geborgen in deinem Schatten, konnte ich mir ewig und einen Tag erlauben, mich nicht darum zu kümmern. Langsam, drei Schritte vor und zweieinhalb zurück, lerne ich alter Knabe nun doch noch das eine oder andere, was die meisten auf den geflügelten Füßen ihrer Kindheit und Jugend erworben haben.
    Leider will Juri bislang nichts mit mir zu schaffen haben. Seit ihn Frau Doktor Hu darüber aufgeklärt hat, dass ich nicht du bin, geht er mir aus dem Weg. Wenn wir an einer Tür zufällig voreinander laufen, verdreht er die Augen nach oben, um zu verhindern, dass sich unsere Blicke kreuzen. Natürlich fehlst du ihm. Er sehnt sich schlimm nach dir, obwohl er dies nie eingestehen würde. Als am Neujahrstag der Kampfballon des Weißen Khan als helle Kugel über dem Turm stand und wir befürchten mussten, Opfer eines gezielten Luftangriffs zu werden, drohte Juri mit beiden Fäusten Richtung Himmel und knurrte, wer es wagen würde, den Laden von Großvater Spirthoffer zu bombardieren, bekäme, auch wenn er ihn hierfür bis nach Sibirien verfolgen müsste, eine chinesische Handgranate in den Allerwertesten gesteckt.
    Was mich und meine eingefleischte Menschenscheu angeht, übe ich mich im Kleinen. Einer der Männer Dorokins, einer von denen, die am Heiligen Abend das Elektronische Hospital erstürmten, hat etwas auf dem Herzen. Er hält sich abseits, redet kaum mit seinen Kameraden. Abends geht er alleine in den zweiten Hof hinüber und beginnt, wenn er sich unbeobachtet glaubt, auf eine komisch übertriebene Art zu hinken. Es wirkt, als spiele er den Hüftversehrten. Dann zündet er sich eine Zigarette an, hält sie sich vors Gesicht, ohne ein zweites Mal daran zu ziehen, entflammt sie allerdings erneut, falls sie ihm ausgeht.
    Inzwischen weiß ich, dass er nicht nur zu diesen Glimmstängeln spricht, sondern mit verstellter Stimme sogar eine Gegenrede flüstert. Ein paar Mal habe ich mich zu ihm gesellt und ihn zum Schein um eine seiner Zigaretten angegangen. Ich paffe dann, so gut ich es zustande bringe, und auch der eine oder andere Wortwechsel, über das Wetter, über die mehr oder minder starke Klebrigkeit des frischen Schnees, über die Nebelkrähen, die Kälte und Futtermangelin lange nicht gesehener Zahl nach Germania getrieben haben, ist uns bereits gelungen. Ich bin nicht wenig stolz, dass mir das Fragen wie das Antworten zunehmend flüssiger über die Lippen geht. Schließlich bin ich eine Ewigkeit nur das Gespräch mit dir gewöhnt gewesen. Ich glaube, auch mein melancholischer Soldat war noch vor kurzem fest und innig in einem besonderen Dialog zu Hause. Aber von Mal zu Mal scheinen ihm unsere kleinen Unterhaltungen ein Quäntchen besser zu gefallen.
    Gestern, als ich vor deinen Blättern saß und, am Bleistiftende nagend, nach den rechten Worten

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