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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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zitternd sah ich alles mit neuartiger Schärfe. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie groß die Zähne des ausgedörrten Siedlers waren. Und ich war froh, dass die Kiefer nur ein klein wenig offen standen und die Zunge unsichtbar blieb. Den Gedanken allerdings, dass der Körper eine solche besessen hatte und deren Schwundform vermutlich noch immer besaß, wurde ich nicht los. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass dieses flache Stück Fleisch der einzige ungetarnte, der einzige rohrote Muskel des menschlichen Körpers ist. Um das keimende Bild der geschrumpften Siedlerzunge zurückzudrängen,versuchte ich, an die Zunge meiner Mutter zu denken, und musste erschrocken feststellen, dass ich mir diese nicht vorstellen konnte, obwohl sie doch täglich, hinter ihren schön geschwungenen Lippen, hinter ihren kleinen Zähnen zu mir sprach.
    Als ich nach oben zurückkam, wartete dort nur eine junge Frau, die sich, ihren Säugling im Tragetuch, ungeduldig und offenbar verärgert über mein langes Verweilen, an mir vorbei die Treppe hinunterdrängte. Draußen, im Sonnenlicht, entdeckte ich Smosmo und bei ihm meine Mutter. Die beiden standen hinter einer der großen Karren, wie die Steinbrecher sie zum Transport von Schwergut benutzen. Sie werden, um Gewicht zu sparen, fast ganz aus Altmaterial montiert. Die Seitenverkleidung ihrer Ladefläche besteht aus den größten ungeteilten Blechstücken, die ich bis auf den heutigen Tag zu Gesicht bekommen habe. Die Karre war defekt, auf der mir zugewandten Seite waren beide Räder abmontiert, zwei große Brocken Rotstein verhinderten, dass das Fahrzeug kippte.
    Von Smosmo wie von meiner Mutter konnte ich nur die Füße und die Unterschenkel sehen, dennoch hatte ich beide sogleich erkannt, vermutlich an der jeweils typischen Unruhe, mit der sie sich, befangen in einem lebhaften Gespräch, dicht voreinander auf der Stelle bewegten. Ich war nicht nahe genug, um etwas zu verstehen. Heute denke ich, dass sie vielleicht sogar flüsterten und mir das Spiel ihrer Beine das schnelle Hin und Her ihres Redens wie die Verhaltenheit ihrer Stimmen verriet. Meine zierliche Mutter, in Mockmock-Galoschen, wie sie an Halbwüchsige ausgegeben werden, trippelte auf der Stelle, während Smosmo, der die Schuhspitzen nach außen gedreht hatte, in unregelmäßigen Abständen auf diesen hochwippte, als bemühte sich etwas in ihm, ganz unsinnig eifrig, zu der doch deutlich kleineren Gesprächspartnerin hinaufzugelangen.
    Auf dem Heimweg begann meine Mutter von den dickschädligen Brüdern zu sprechen. Sie fragte mich nach Einzelheiten des Unterrichts, danach, was den beiden gelinge und womit sie ihre Schwierigkeiten hätten. Hierzu fiel mir das eine oder andere ein. Oft genug hatte ich mitgelacht, wenn den Dickköpfen die Werkstücke aus den Händen purzelten oder wenn sie, während wir gemeinsam im Sog von Smosmos Erzählung trieben, durch einen Zwischenruf, nicht selten nur durch ein einziges herausgegrunztes Wort, verrieten, wie weit sie im Fortgang des Berichteten zurückgeblieben waren.
    Auch die zweite Unterhaltung, deren kindlicher Zeuge ich wurde, fand an einem besonderen Tag statt. Und vielleicht sind beide Beobachtungen nur deshalb mit dem Gewicht, das es für die Entstehung einer selbsttätig wiederkehrenden Erinnerung braucht, in mich gesunken, weil die Bedeutung des jeweiligen Tages sie günstig beschwerte. Die vorausgegangene Nacht war fast klar gewesen, was bei uns sehr selten, kaum ein halbes Dutzend Mal im Jahr, vorkommt. Der Nachtwart, das mit der Himmelsbeobachtung betraute Mitglied des Panik-Rats, hatte erkennen können, dass eine Mondgleiche unmittelbar bevorstand. Die Nachricht ging wie ein Beben durch die Kolonie. Unser Unterricht wurde geändert. Anstelle des alten Steinbrechers, der uns einen weiteren Vormittag mit der Eigenart und Nutzbarkeit der unterschiedlich harten Rotsteinarten vertraut machen sollte, erschien Smosmo, um Mondkunde mit uns zu treiben. Beschämt habe ich aus den Heiligen Büchern erfahren müssen, wie unerhört viel Ihr über unsere beiden Trabanten wisst. Obwohl sie der Erde so fern sind, ist es Euch gelungen, nicht nur ihren Lauf zu berechnen, sondern auch die Beschaffenheit ihre Oberfläche zu erkunden. Selbst über ihren mutmaßlichen Kern haben Eure wundersamen Instrumente irgendwann Auskunft gegeben. Wir können unsere zweiMonde allenfalls, so sich die brausende Wildheit unserer höheren Atmosphäre eine rare Ruhepause gönnt, durch letzte über ihre narbigen

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