Die Zukunft ist ein toller Job (German Edition)
ersten Sonnenstrahl aus den Federn sprang und nie Probleme hatte, sich zur
Arbeit zu motivieren. Da sagte sie sich immer: Ach komm, Marie, das geht schon.
Einen Kaffee noch, dann läuft der Laden. Aber jetzt, in dieser Situation, mit
diesem steifen Anhängsel von Bein, war der Spruch zu einer hohlen Phrase geworden.
So weit, so deprimierend.
Da Marie ab heute wieder auf Frau Meyer
aufpassen musste, stand ihr noch eine besondere Herausforderung bevor: der
Aufstieg zu Jonas’ Wohnung. Davor hatte sie richtig Angst. Zu Recht, wie sich
herausstellte. Er dauerte geschlagene zehn Minuten, und sie schaffte ihn auch
nur, weil der Hausmeister ihr auf den letzten Höhenmetern unter die Arme griff.
Dabei schimpfte er mit ihr und wollte sie zum Arzt schicken. Aber nachdem sie
ihm erklärt hatte, dass sie nicht im Traum daran dachte, gab er endlich Ruhe
und versprach, im Treppenhaus auf sie zu warten, damit er sie wieder
hinunterbegleiten konnte.
Auf dem Boden im Flur lag eine Botschaft von
Jonas, offensichtlich in großer Eile hingekritzelt und so platziert, dass sie
den Zettel auch finden würde: „Ich bin heute beim Zahnarzt und komm
früher nach Hause. Ruf mich bitte an, wenn du Frau Meyer zurückbringst. Dann
hol ich sie unten am Wagen ab. Gruß, Jonas. PS. Mach es wirklich, ja?“
Als Marie das las, musste sie lächeln. Obwohl
sie es nicht wollte. Offensichtlich wusste er um ihren Zustand, woher auch
immer.
Im Schlafzimmer hatte Frau Meyer schon wieder
alle Socken aus dem Schrank geräumt und eine Rolle Klopapier abgewickelt, bis
nur noch Fetzen davon übrig waren. Marie seufzte. Von wegen sanfte Riesin.
Dank des Hausmeisters war der Abstieg durchs
Treppenhaus nicht so schlimm wie der Aufstieg. Während sie mit ihrem gesunden
Bein Stufe für Stufe nach unten hüpfte, stützte sie sich auf der einen Seite am
Geländer ab und auf der anderen auf Herrn Zotas Unterarm. Er trug auch ihre
Krücke und zerrte Frau Meyer hinter sich her, obwohl die sich im Rückwärtsgang
und mit steifen Läufen und ausgefahrenen Krallen gegen das Unvermeidliche
anstemmen wollte.
„Vielen Dank“, sagte Marie, nachdem er sie und den
Hund in den Wagen bugsiert hatte.
„Immer wieder gern“, sagte er und musterte sie
voller Mitgefühl. „Allerdings hab ich Angst, dass Sie das nächste Mal
schlappmachen, wenn Sie die Treppe hochsteigen wollen.“
„Keine Sorge, mir geht’s gut, ich schaff das schon“,
sagte Marie und startete den Motor.
„Der Herr Frommberger …“, sagte er plötzlich
und ließ den Satz offen. Anscheinend wollte er etwas Dringendes in der
Beziehung loswerden und wartete darauf, dass sie ihn zum Weiterreden
ermunterte. Aber sie lächelte ihn nur an und gab Gas. Nachdem sie sich aus
ihrer Parklücke gekurbelt hatte, sah sie im Rückspiegel, wie er dastand und ihr
nachblickte, bis sie die Straße hinuntergefahren und an der nächsten Kreuzung
abgebogen war.
Darius von Stemmen zählte nicht gerade zu
Maries Lieblingskunden. Vielleicht lag es daran, dass er ständig einen auf
Geheimniskrämer machte. Womit er sein Geld verdiente: wusste sie nicht. Ob er
verheiratet war: konnte sie nicht sagen. Wie alt er war: wollte er nicht
verraten. Sonst irgendwelche Infos? Fehlanzeige. In letzter Zeit kam ihr
allerdings der Verdacht, dass er ziemlich knapp bei Kasse war. Er besaß zwar
diese Jugendstilvilla in gutbürgerlicher Lage, aber er schien ein
Cashflowproblem zu haben. Die Rechnungen, die Marie ihm schickte, beglich er
grundsätzlich zu spät, und die Leute, die bisher das Grundstück in Schuss
gehalten hatten, konnte er wohl auch nicht mehr bezahlen. Mit dem Resultat,
dass der parkähnliche Garten mit den alten Eichen und Kastanien und das riesige
Haus mit den verschnörkelten Balkongeländern zusehends verkamen. Wobei
„verkamen“ vielleicht nicht der richtige Ausdruck war. Sie nahmen eher den Reiz
des leicht Verwitterten an, und das stand ihnen ausgesprochen gut.
So ein Zuhause hätte sie auch gern besessen,
musste Marie sich eingestehen. Hier konnte man die Hektik der Stadt vergessen,
hier hatte man Raum zum Leben. Aber dazu würde es niemals kommen, nicht mit
ihrem derzeitigen Job. Der konnte sie, wenn überhaupt, nur in der Gegenwart
ernähren. Großartige Zukunftsperspektiven hatte er nicht zu bieten. Und an
solche Sachen wie Vorsorge fürs Alter oder Anlegen eines Finanzpolsters war
schon gar nicht zu denken. Selbst wenn sie schuftete, was das Zeug hielt, würde
es immer nur für eine enge Behausung in einem
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