Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
Vom Netzwerk:
Peelings.
    Gehirnjogging im Leerlauf, verheddert im Bruchband, Alter als Vernichtung öffentlicher Räume.
    Boten des Todes, Diener des Verfalls, Spione des Jenseits, Botschafter der Schmerzen.
     
    Aus untoten Nebeln entsteigen poröse Leiber, geronnen und verwittert.
    Ihre morbiden Armeen rücken unaufhaltsam vor. Abnorme Lebenslust, durch nichts gerechtfertigt, saugen sie embolische Luft in ihre faltigen Lungen.
    Mobiles aus Glasknochen und ausgefallenen Zähnen. Essen, leben, reisen, Hedonismus, der nicht fragt.
     
    Wir wollen doch nur leben, wie ihr früher auch, lasst doch los, lasst doch ab!
    Doch ihr haltet mit aller Kraft am längst erloschenen Dasein fest.
    Wir bitten um Erbarmen, Alte, geht und lasst uns endlich leben!
     
    Spitzentext schon wieder. Überlegenes Material. Ich hatte es einfach drauf. Irgendwie.
     
    Sven schien es wirklich nicht gutzugehen. Selber schuld. Noch bevor er sich richtig hingesetzt hatte, legte ich los:
    «Ich hab’s dir gesagt, deine Weibergeschichten gehen nicht ewig gut. Ein Wahnsinn alles, ein Wahnsinn!»
    «Ach, hör auf. Ich bin wieder extra so lange backstage geblieben, bis ich dachte, dass alle weg sind, aber da war die noch, die hat sich ja quasi auf dem Silbertablett angeboten, das hast du auch selten bis nie. Da kommt man doch nicht drauf, dass die so jung ist.»
    «Man weiß doch heutzutage nie, wie alt die wirklich sind bei dem Geschminke. Ist doch das Mindeste, dass du die fragst, wie alt sie ist,
bevor
du sie mitnimmst. Das sind doch Grundregeln.»
    «Grundregeln, Grundregeln, was denn für Grundregeln? Es gibt keine Grundregel, außer dass hinterher nur noch der bucklige Veranstalter da ist und der Techniker.»
    «Wenn das rauskommt, kannst du einpacken.»
    «Meine Güte, jaja. Ein Quäntchen menschlicher Anteilnahme ist doch wohl nicht zu viel verlangt.»
    «Ach, hör auf. Anteilnahme. Ich mach das Theater nicht länger mit.»
    Das saß. Er sah plötzlich noch schlechter aus. Diesmal aber nicht geil schlecht, sondern echt schlecht.
    «Wie meinst du das?»
    «Die Angelegenheit erledigt sich möglicherweise von selbst, und wenn nicht, ich kann nicht mehr. Mein Körper rebelliert. Das ist wie bei Schwerstarbeit, da macht der Körper irgendwann auch nicht mehr mit. Jahrelang hab ich das Falsche gedacht, gemacht, geschrieben, und jetzt sind die Nervenleitungen kurz vorm Verkleben.»
    «So, und wovon willst du leben?»
    «Und wovon willst du leben, und wovon willst du leben? Weiß ich doch nicht. Achttausend oder so hab ich noch, und wenn das weg ist, findet sich schon was oder auch nicht. Ist mir doch egal. So geht’s jedenfalls nicht weiter mit dem Nazikram.»
    Das Wort Nazi lässt sich in fast jedem Zusammenhang benutzen. Musiknazi, Naziwetter, Diätnazi – passt irgendwie immer.
    «Ach so, ein Nazi bin ich in deinen Augen.»
    «Du weißt doch genau, wie ich das meine. Mir wirfst du vor, dass ich mich nicht auf die Bühne traue, aber du setzt dich auch nie hin und denkst dir mal selbst was aus. Und wenn du nur mal einen Entwurf ablieferst, irgendwas, womit du dich auskennst und was ich ausarbeiten könnte. Sexuelle Kriegsgewinnler. Dr.   Fummel. So was, Dr.   Fummel, der sexuelle Kriegsgewinnler.»
    «Sexueller Kriegsgewinnler, was soll das denn sein? Versteht doch kein Mensch.»
    «Das versteht jeder, keine Sorge.»
    «So unsensibel wie du kann ein einzelner Mensch gar nicht sein. Ich brauch jetzt was zu saufen.»
    «Okay. Bier oder Wein? Schnaps haben die Zombies ja leider nicht.»
    Wir schwiegen und tranken. Und tranken und schwiegen. Und schwiegen und tranken, und dann schaute er mich verzweifelt an:
    «Ich geb mir überhaupt keine Mühe mehr, es geht immer gleich in die Hotelbar. Dann hör ich mir das Geschwätz an. Wenn es zu arg ist, trink ich so viel, dass ich schon nach ’ner Stunde abschmier, das Zeitfenster wird zunehmend schmaler. Manchmal, wenn wir oben sind, kommt es vor, dass ich mich nur kurz aufs Bett legen will und sofort einschlafe. Das Schlimmste ist, wenn die dann nicht gehen, sondern sich zu mir legen. Nichts hat mehr eine Bedeutung. Erinnerst du dich noch an Simone Bornholdt?»
    «Natürlich erinnere ich mich noch an Simone Bornholdt.»
    «In die bin ich doch so verliebt gewesen. Ich hab sie vor ein paar Tagen wieder getroffen, zufällig. Und die Verknüpfung funktionierte immer noch, ich war schlagartig wieder verliebt.»
    «Und? Ändert das was? Du kannst mir doch nicht weismachen, du würdest dich wegen der von deiner Frau trennen.

Weitere Kostenlose Bücher