Die Zusammenkunft
Brainstorming. Paul war sehr gut vorbereitet und nahm alle neuen Erkenntnisse aus Sironas Präsentation auf, stellte hier und da qualifizierte Fragen, und bevor sie auch nur eine Minute Leerlauf gehabt hatten, war es ein Uhr. Sie beschlossen, zu einem Italiener in die Stadt zu fahren. Die MICROBANK besaß keine eigene Kantine und da Paul sicher im Gegensatz zu Lora und Sirona kein Butterbrot aus der Tasche zaubern konnte, war das auch für sie beide eine nette Abwechslung.
Während des Essens erfuhren sie, dass Paul in einem nahe gelegenen Hotel untergebracht worden war, dass er in seiner Freizeit gern auf dem Great Slave Lake segelte und dass er eine Vorliebe für Pferde hatte, was er auf se ine Vorfahren schob, die, wie er erklärte, vom Stamm der Dog Rib Rae seien. Die Dog Rib Rae waren mit ihren rund 2500 Stammesmitgliedern der zurzeit größte bekannte Indianerstamm im Northwest Territorium Kanadas. Paul erzählte fast jeden Mittag eine andere Geschichte über sein Volk und seine Ausflüge in die Rocky Mountains.
Paul war sehr angenehm, nett und zuvorkommend. Er schien Sironas Rolle im Büro anstandslos anzuerkennen. Er war intelligent und wissbegierig, und die Zusammenarbeit verlief reibungslos. Lora traf sich sogar abends ab und zu mal mit ihm, damit er sich nicht ganz so allein fühlte, ohne dass ihr Verhältnis sich über das Berufliche hinaus verändert hätte. Sirona dachte darüber nach, ihm eines ihrer kleineren Projekte zu überlassen, damit er die Möglichkeit hatte, auch mal über praktische Probleme zu stolpern.
Ihr war nicht entgangen, dass Paul sie zwischendurch beobachtete und sich immer wieder mit Fragen einzubri ngen versuchte, sobald er etwas Privates hinter einer ihrer Antworten vermuten konnte.
Für einen Mann gab er ungewöhnlich viel von sich preis. Er hatte sie sogar beide schon eingeladen, ihn ei nmal in Yellowknife zu besuchen. Lora würde auf der Stelle hinfliegen, wenn sie könnte, das war nicht zu übersehen, aber Sirona war sich sicher, dass die Einladung mehr ihr als Lora galt. Sie behielt ihre Vermutung jedoch für sich, denn durch die zehn Jahre Altersunterschied war bereits der bloße Gedanke, sie könne sich privat für ihn interessieren, völlig lächerlich. Also beschränkte sie sich darauf, sein breites Grinsen zu erwidern, wenn er morgens seinen ersten Schluck Kaffee trank und, mit einem nicht zu übersehenden Seitenblick auf Sirona, sagte »Prost, auf den kleinen Macho«.
Ihren Boss Henry sah sie in den zwei Wochen nach Pauls Ankunft nicht einmal, lediglich aus den anderen Abteilungen brachte Lora ab und zu mal Neuigkeiten mit, dass die Kollegen jenseits des Flurs auseinandergenommen wurden und das Klima ziemlich eisig war.
Jetzt arbeiteten sie bereits seit zwei Wochen miteina nder, und es funktionierte prächtig. Paul hatte ihr heute Morgen das Layout gemailt, das er für ein neues Projekt entworfen hatte.
»Paul, wenn Sie mal arbeitslos werden sollten, nehme ich Sie gern jederzeit in mein Team auf.«
Er grinste und sagte: »Ach, und ich habe mir eingebildet, ich würde schon längst dazugehören.«
»Bei uns muss man durch die Feuertaufe, um dazuz ugehören.«
Sein Blick wurde sofort noch wachsamer als sonst : »Und die wäre?«
»Ich habe eine Karte mehr für die Preview von Twilight III Eclipse besorgt. Wenn Sie möchten, können Sie mit, aber ich warne Sie, es kommen eine Menge Fra uenpower, Herzschmerz, Schmalz und meine Tochter auf Sie zu. Es gibt aber ein Trostpflaster: Vorher machen wir ein leckeres Barbecue mit kaltem Bier in meinem Garten. Sie können im Gästezimmer übernachten, aber nur wenn Sie möchten. Lora würde dann bei mir im Schlafzimmer schlafen. Ach ja, und dann wäre da noch meine Mutter, vor der müssen Sie sich etwas in Acht nehmen, die sucht sich immer die hübschesten Männer aus, um mit ihnen alle von ihr selbst hergestellten Likörsorten durchzuprobieren. Da sind dann Kopfschmerzen vorprogrammiert.«
»Das ist interessant, Sie finden mich hübsch!«
Sironas Blick schnellte vom Bildschirm hoch. »Ich sprach von meiner Mutter, ich kenne ihren Geschmack, seien Sie vorsichtig, ich habe kein Problem damit, eine Ausladung auszusprechen!«
»Ich würde mich sehr freuen, wenn ich kommen darf, unter der Voraussetzung, Sie geben mir einen Tipp für ein Gastgeschenk für Ihre Mutter und ihre Tochter.«
»Gastgeschenke sind überflüssig.« Damit beendete sie die Diskussion.
D arken wurde langsam ungeduldig. Jeden Abend hielt er eine
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