Die Zusammenkunft
Auftrag war es, Sie am nächsten Samstag sicher auf das Sommerfest zu bri ngen. Alles, was Sie von mir denken zu wissen, ist Fiktion. Ich habe meine Geschichte erfunden, um Ihr Vertrauen zu gewinnen. Auch wenn es nicht so auf Sie wirkt, ich war da, um Sie vor sich selbst zu beschützen, und ob Sie es wollen oder nicht, ich werde es auch in Zukunft tun, soweit es in meiner Macht steht.«
Abrupt ließ er sie los, drehte sich um und stieg aus dem Wagen.
Sirona starrte auf den leeren Ledersitz, der sich von Pauls Gewicht langsam erholte und wieder ausdehnte. Warum hatte er sie getäuscht? Warum belogen? Was lief hier? Was war das für ein Ort und wer steckte dahinter? Was nahm er sich heraus, über sie zu bestimmen?
Alles in ihr war taub, als wollte ihr Körper sie davor beschützen, irgendetwas zu fühlen. Sie war in Gefahr, das spürte sie genau. Aber warum? Ihre tief sitzende, unterschwellige Wut, die Kraft, die sich immer dann in ihr aufbäumte, wenn ihre Instinkte sie warnten, brach plötzlich und unvermittelt aus ihr hervor. Grenzenloser Zorn überschwemmte sie wie eine gewaltige Flutwelle.
Kraftvoll stieß Sirona die Wagentür auf und brachte damit fast Paul zu Fall, der gerade den Griff in die Hand genommen hatte, um sie ihr zu öffnen. Wie eine Raubka tze, blitzschnell und mit eleganter Geschmeidigkeit, sprang sie aus dem Wagen und knallte die Tür des 911er so heftig zu, dass die Scharniere ächzten. Sie stand vor Paul, die Füße leicht ausgestellt und in den Kies unter ihren Schuhen gebohrt. Ihr Körper war leicht vornüber gebeugt, die angespannten Arme vom Oberkörper abgewinkelt, die Hände zu Fäusten geballt. Jede Faser ihres Körpers war angespannt und sprungbereit.
»Paul, wer bist du und was geht hier vor?« Sie spürte, dass ihre Augen vor Wut blitzten. Paul stand reglos vor ihr, sagte kein Wort. Die starke Präsenz, die seinen Körper sonst umgab, war verflogen und er wirkte eingeschüchtert und geschrumpft. Ihr war klar, dass er mühelos einen Schlag von ihr abwehren konnte, dass sie ihm körperlich und an Schnelligkeit weit unterlegen war und er bei der kleinsten Bewegung von ihr früh genug ausweichen würde. Aber sie bestimmte ihren Körper in diesem Moment nicht, sie wurde bestimmt durch Enttäuschung, Zorn und Hass, den sie nicht kontrollieren konnte. Ihre rechte Faust schoss hoch und traf ihn am Kinn, rutschte über seine Lippe ab.
Sie keuchte, spürte den Aufschlag ihrer Faust, spürte nicht, dass ihr die dünne Haut über den Handknöcheln aufplatzt e. Paul stand vor ihr, er war nicht zurückgewichen, er hatte den Schlag in seiner ganzen Härte in Empfang genommen und bewegte sich nicht, er sah sie nur an. Keine Träne des Schmerzes sah sie in seinen Augen. Seine Lippe schwoll an und ein kleines Rinnsal von Blut suchte sich seinen Weg über das kräftige Kinn zum Hals. Sie wäre ihn am liebsten angesprungen, hätte ihm die Augen ausgekratzt und die Haare ausgerissen.
»Warum?«, schrie sie ihn an, »warum? Antworte mir!«
Im nächsten Augenblick spürte sie ein Brennen in ihrem Nacken, und ein Schauder ging durch ihren Körper. Pauls Blick veränderte sich; so starr, wie er ihr in die Augen gesehen hatte, so starr sah er jetzt über ihre Schulter hinweg. Den Bruchteil einer Sekunde schien es, als wenn er sich ducken wollte. Sirona war schlagartig klar, dass die Antwort auf ihre Frage, hinter ihr stand. Langsam drehte sie sich um.
Er stand in der offenen Tür, auf dem oberen Treppe nabsatz. Er trug ein weißes T-Shirt, enge schwarze Hosen und Lederstiefel. Er hatte lange, dunkle Haare, die ihm in die Stirn fielen. Seine Schultern waren breit, und überall, wo Haut seine Kleidung berührte, konnte Sirona seine Muskeln erahnen. Er stand gerade und sah abwartend zu ihr herüber. Seine Nase sah gut aus, obwohl sie erst vor wenigen Monaten gebrochen worden war – gebrochen von ihr. Unter seinen schwarzen Strähnen hindurch blickten die ihr nur allzu bekannten dunkelblauen Augen sie an. Er hatte riesige, kräftige Hände; Hände, die jederzeit einem ausgewachsenen Mann das Gehirn aus dem Kopf pressen konnten. Er war umgeben von einer Aura, die Stärke, Macht und Furchtlosigkeit ausstrahlte.
Sirona hörte die Vögel nicht mehr, die noch munter gezwitschert hatten , als sie angekommen waren. Sie spürte die Wärme der Sonne nicht mehr, die ihr Gesicht erwärmt hatte. Obwohl Sirona immer noch sie selbst war, spürte sie eine weitere Persönlichkeit in sich, eine Persönlichkeit, die in sie
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